Sammlung der Israelitischen Kultusgemeinde
Die „Sammlung IKG“ ist eine Dauerleihgabe der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg an die Stadtbibliothek. Sie besteht aus Überresten der ehemaligen Redaktionsbibliothek des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“ sowie einer Privatbibliothek des Gauleiters Julius Streicher.
Bestand
Die Sammlung Israelitische Kultusgemeinde (IKG) umfasst ca. 8.000 bis 9.000 Schriften in 25 Sprachen, die verfolgungsbedingt von den NS-Machthabern und ihren Anhängern verschiedensten Opfergruppen in der Zeit von 1933 bis 1945 rechtswidrig entzogen wurden: Juden, Freimaurer, Priester und Pfarrer, Funktionäre und Mitglieder der Arbeiterbewegung, zahlreiche andere Personen und Körperschaften aus ganz Europa.
Einen wichtigen Schwerpunkt bilden Schriften aus und über das Judentum (Judaica), die unter die Begriffe jüdischer Glaube, jüdisches Leben, jüdisches Wissen, jüdische Kunst, jüdische Menschen, jüdische Erfahrungen und verwandte Gebiete (z.B. Masonica, Antisemitica) fallen. Zahlreiche Schriften befassen sich zudem ganz allgemein mit Human-, Wirtschafts-, Geistes- und Naturwissenschaften.
Geschichte der Sammlung IKG
Zu den heute unter dem Begriff „Sammlung Israelitische Kultusgemeinde (IKG)“ zusammengefassten Beständen zählen Bücher, die bei Kriegsende in den Redaktionsräumen des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“ (Pfannenschmiedsgasse 19) bzw. in Julius Streichers Landgut „Pleikershof“ in Cadolzburg bei Fürth. Die Reste der zusammengeraubten Büchersammlungen Streichers wurden von der Israelitischen Kultusgemeinde als Dauerleihgabe der Stadt Nürnberg überlassen und werden in der Stadtbibliothek aufbewahrt.
Die ca. 8.000 bis 9.000 Bücher bestanden bis zur Neubearbeitung aus drei Signaturgruppen:
a) der Signaturgruppe „Glatte Nummern“ (Beispiele -1-; -58- usw.): Bücher aus allen Fachgebieten sowie sehr viel Belletristik, größerer Anteil jüdischer Autoren, bemerkenswerter Anteil ausländischer Druckorte bzw. Fremdsprachen; zusätzlich eine Gruppe „Politik und Volkswirtschaft“ mit zahlreichen Titeln über die Arbeiterbewegung sowie zu Sozialismus und Kommunismus. Die ca. 4.500 Bände wurden zu einem unbekannten Zeitpunkt ohne Inventarnummern katalogisiert.
b) knapp 3.500 Bücher einer Signaturgruppe „St“ (= „Stürmer“), größtenteils Judaica, ein kleinerer Teil (ca. 15%) besteht aus antisemitischem Schrifttum; dazu kommen einige Freimaurerschriften (Masonica). Die seit 1952 nach dem Verfasseralphabet aufgestellten Bände wurden ab 1959 katalogisiert und 1961/62 als Geschenke in das Akzessionsbuch der Stadtbibliothek eingetragen. Am 9.2.1960 gab der damalige Bibliotheksdirektor Karlheinz Goldmann der Presse bekannt, dass mit Hilfe von Werkstudenten „eine der größten Spezialbüchereien des Judentums und der Freimaurerei in Europa katalogisiert“ werde.
c) etwa 1.200 Schriften, fast ausschließlich Judaica. Diese Bände sind bis 1997 unkatalogisiert geblieben.
Heute sind ein Großteil der Schriften neu katalogisiert und tragen sämtlich die Signatur „IKG“ in 43 verschiedenen systematischen Gruppen.
Etwa ein Drittel der Schriften in allen 3 Bestandsgruppen weisen Besitzeinträge von Privatpersonen und Körperschaften (z. B. Institutionen, Vereine, Verbände, Bibliotheken) aus. Nur ein kleinerer Teil davon lässt sich mit Nürnberger Vorbesitzern in Verbindung bringen; der überwiegende Teil ist geographisch dem „Großdeutschen Reich“ zuzuweisen, also dem gesamten deutschsprachigen Raum mit Elsass, Österreich, Polen, der Tschechoslowakei sowie dem besetzten Frankreich. Der Bestand an freimaurerischem Schrifttum (Masonica) in der Signaturengruppe „St“ bzw. an Schriften über die Arbeiterbewegung, Sozialismus und Marxismus in der Signaturengruppe „Glatte Nummern“ lässt vermuten, dass in die Redaktionsbibliothek des „Stürmer“ bzw. in die Privatbibliothek Streichers auch Besitz nichtjüdischer Opfergruppen eingegangen ist. Seit 1997 wurde der gesamte Bestandskomplex „Sammlung IKG“ neu katalogisiert. Dabei fanden von Anfang an nicht nur die bibliographischen Angaben Berücksichtigung, sondern auch die im Buch enthaltenen Hinweise auf seine Vorbesitzer. Bis Ende 2002 wurden die bisher vollständig unkatalogisierten ca. 1.000 Titel an Judaica neu erfasst. Seitdem wurden mit Priorität die Bücher katalogisiert, die Einträge von Vorbesitzern aufweisen. Die Erfassung sämtlicher Provenienzvermerke in der „Sammlung IKG“ konnte Anfang 2005 abgeschlossen werden, so dass nun ein vollständiger Überblick über die im Bestand dokumentierten Vorbesitzer möglich ist. Insgesamt 3701 Provenienzeinträge wurden festgestellt, darunter 2214 Namen von Personen und Institutionen aus 514 Orten in 26 Ländern von Albanien bis zu den USA.
Alle Provenienzeinträge sind seit Februar 2003 in einem eigenen Index „Provenienz“ im Online-Katalog der Stadtbibliothek Nürnberg recherchierbar. In die Datenbank „Lost Art“ (www.lostart.de) sind knapp 2000 Meldungen von Büchern mit Besitzeintragungen eingegangen, bei denen die Vermutung nicht auszuschließen ist, dass es sich um NS-verfolgungsbedingte Kulturgutverluste handelt. Die Stadtbibliothek Nürnberg ist einer der größten Zuträger in diese von der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste im Auftrag des Bundes und der Länder der Bundesrepublik Deutschland betriebene Datenbank.
Feststellung von NS-Raubgut und Restitution
Die Stadtbibliothek und die Israelitische Kultusgemeinde als Dauerleihgeber entschieden schon zu Beginn der Erschließungs- und Forschungsarbeiten, die geraubten Schriften, wo immer möglich, ihren Vorbesitzern bzw. deren Rechtsnachfolgern zurückzuerstatten.
Diese Restitution erfolgt in Übereinstimmung mit den „Grundsätzen der Washingtoner Konferenz“ (1998) in Bezug auf Kunstwerke und Kulturgüter, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden.
Die in den Schriften der Sammlung IKG aufgefundenen Einträge und Hinweise auf 2198 Vorbesitzer wurden möglichst buchstabengetreu im jeweiligen Katalogisat festgehalten und können im Katalog der Stadtbibliothek recherchiert werden.
Um dem Ziel einer Restitution der Schriften an die Vorbesitzer, bzw. deren Rechtsnachfolger, näher zu kommen, veröffentlicht die Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg seit 2008 Listen mit Informationen über potentielle Vorbesitzer. Nach gründlichen Recherchen konnten trotz oft bruchstückhafter Angaben zahlreiche Personen und Körperschaften mit Orten, Anschriften und Lebensdaten benannt werden. Es versteht sich, dass auf Grund der schwierigen Sachlage nicht immer eine zweifelsfreie Gewissheit hergestellt werden kann, hin und wieder und bis auf weiteres muss auf gut begründbare Annahmen zurückgegriffen und entsprechende Identifikationen nur vorgeschlagen werden. Die bisher gemachten Erfahrungen zeigen, dass durch Anfragen von Angehörigen, durch Ergänzungen von Forschern und durch eigene weitere Recherchen auch Zweifelsfälle einer Lösung näher gebracht werden können. Die Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg und die Israelitische Kultusgemeinde Nürnberg sind für jeden Hinweis dankbar. Die Restitutionen erfolgen gemäß strengen juristischen und ethischen Vorgaben und sind entsprechend zeitaufwändig. Die Restitutionen erfolgen pro bono und sind mit keinerlei Kosten für die Empfänger der Schriften verbunden.
Bisher (Stand: 30.8.2022) konnten aus dem Bestand der Sammlung IKG 831 Fälle geklärt werden. 775 Schriften wurden an Personen oder Körperschaften restituiert, weitere Rückgaben stehen bevor. Bei 56 Schriften haben sich die ermittelten Vorbesitzer, bzw. deren Rechtsnachfolger bisher entschlossen, die ihnen zustehenden Schriften in der Sammlung IKG zu belassen und sie somit der Öffentlichkeit auf Dauer zugänglich zu machen.
Bitte beachten Sie die entsprechenden Informationen und Merkblätter
Informationen über die Restitution von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Schriften aus der Sammlung IKG in der Stadtbibliothek an die Vorbesitzer oder deren Rechtsnachfolger:
Hinweise zur Provenienzrecherche
Bücher mit Besitzeinträgen aus der Sammlung IKG, bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht auszuschließen ist, sind im Online-Katalog der Stadtbibliothek recherchierbar; die Angaben werden laufend aktualisiert. Sie sind ebenfalls (mit Stand 2003) in den Datenbanken „Lost Art“ und „Looted Art“ zu finden.
Im Online-Katalog sind sämtliche bisher erfassten Provenienz-Einträge zur Sammlung IKG der Stadtbibliothek über das Suchfeld „Provenienzen“ in der „Erweiterten Suche“ recherchierbar. Hier finden sich auch die nicht an „Lost Art“ gemeldeten Einträge mit unspezifischen Angaben wie z.B. Zahlen; Bücher, die als Hinweis auf ihre Herkunft nur eingeklebte Etiketten der Buchbinder tragen; Bände, in denen ausschließlich Einträge von nachweislichen Anhängern des nationalsozialistischen Regimes bzw. von Lesern des „Stürmer“ über die Zusendung des Buches enthalten sind.
Der größte Teil der Provenienzeinträge in den Schriften der Sammlung IKG wurde eingescannt und mit den jeweiligen Katalog-Einträgen verknüpft. Diese Bilder können im Online-Katalog der Stadtbibliothek als Multimedia-Objekt im jpg-Format direkt angeschaut werden.
Ansprechpartner
Leibl Rosenberg, M.A.
Beauftragter der Stadt Nürnberg für die Sammlung IKG
Egidienplatz 23
90403 Nürnberg
Telefon 0049-911 231-22588
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Literaturhinweise
• Leibl Rosenberg: Spuren und Fragmente. Jüdische Bücher, jüdische Schicksale in Nürnberg. Gemeinsame Ausstellung der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg und der Stadtbibliothek Nürnberg zum Stadtjubiläum 950 Jahre Nürnberg im Pellerhaus, 18. April 2000 bis 2. Juli 2000. Nürnberg 2000, 211 S. [StB-Signatur: Nor. J.B. 457(102)]
• Christine Sauer: Die „Sammlung Israelitische Kultusgemeinde“ (ehemals Stürmer-Bibliothek) in der Stadtbibliothek Nürnberg, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 91 (2004), S. 295-316
Online-Zugriff über die Digitale Bibliothek der Bayerischen Staatsbibliothek
• Christine Sauer: Die „Schwierige Suche nach den rechtmäßigen Eigentümern“,
in: BuB 56 (2004), S. 340-350
• Leibl Rosenberg: Die Sammlung Israelitische Kultusgemeinde (früher „Stürmer-Bibliothek“) in der Stadtbibliothek Nürnberg. In: Die Suche nach NS-Raubgut in Bibliotheken. Recherchestand – Probleme – Lösungswege. Hg. Bernd Reifenberg, Marburg 2006, S. 51-60 (Schriften der Universitätsbibliothek Marburg, 126 [StB-Signatur: B 43845]
• Leibl Rosenberg: Die Sammlung Israelitische Kultusgemeinde (früher „Stürmer-Bibliothek“) in der Stadtbibliothek Nürnberg. In: Jüdischer Buchbesitz als Raubgut. Zweites Hannoversches Symposium. Hg. Von Regine Dehnel. Frankfurt am Main (Klostermann) 2006, S. 349-356 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderheft 88) [StB-Signatur ]
• Leibl Rosenberg: Die Sammlung Israelitische Kultusgemeinde (früher „Stürmer-Bibliothek“) in der Stadtbibliothek Nürnberg. In: Kulturgutverluste, Provenienzforschung, Restitution. Sammlungsgut mit belasteter Herkunft in Museen, Bibliotheken und Archiven. Hrsg. von der Landestelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern beim Bayer. Landesamt für Denkmalspflege. München-Berlin (Dt. Kunstverl.) 2007, S. 167-171 (Museumsbaustein, Bd. 10) [StB-Signatur: C 27560]
• Leibl Rosenberg: Bücher und Schicksale – Die Sammlung Israelitische Kultusgemeinde in der Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg, in: 642 Jahre Stadtbibliothek Nürnberg. Von der Ratsbibliothek zum Bildungscampus. Hg. Christine Sauer, Wiesbaden 2013, S. 171-188 (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 26)
• Leibl Rosenberg: Die Kunst der Restitution. In: Kunst und Recht - Journal für Kunstrecht, Urheberrecht und Kulturpolitik 16 (2014), S. 119-125