Nr. 1274 / 22.11.2023
In der Reihe ihrer Ausstellungen mit Nürnberger Künstlergruppen und Künstlervereinen zeigt die Kunstvilla im KunstKulturQuartier, Blumenstraße 17, von Samstag, 25. November 2023, bis Sonntag, 5. Mai 2024, Werke von Künstlerinnen und Künstlern des Borgo Ensembles rund um den Nürnberger Objekt- und Performancekünstler Reiner Bergmann (geb. 1950). Eröffnung ist am Freitag, 24. November, um 20 Uhr. Nach einem Grußwort von Bürgermeisterin Prof. Dr. Julia Lehner führen die Leiterin der Kunstvilla, Dr. Andrea Dippel, sowie die Künstler Reiner Bergmann und Max Hanisch in die Ausstellung ein. Öffnungszeiten der Kunstvilla sind Dienstag, Donnerstag bis Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr, Mittwoch von 11 bis 20 Uhr. Heiligabend, 1. Weihnachtsfeiertag, Silvester, Neujahr, Rosenmontag, Faschingsdienstag, Karfreitag und Ostermontag bleibt die Kunstvilla geschlossen. Der Eintritt kostet 6 Euro, ermäßigt 2,50 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre haben freien Eintritt.
Das im Jahr 2009 von Bergmann begründete Künstlerkollektiv wirkte in der Vergangenheit an verschiedenen Standorten. Seine bislang größte Resonanz erhielt es ab 2013 mit der Ausstellungsreihe „Womöglich“ in einem Atelierhaus an der Stadtgrenze zu Fürth. Von 2015 bis 2017 residierte das Borgo Ensemble in dem zum Abriss freigegebenen Porsche-Zentrum in Nürnberg als Zwischennutzung. Seit 2019 ist das Borgo Ensemble in einem ehemaligen Postamt in der Holzschuherstraße im Stadtteil Sündersbühl ansässig. Neben den dort gezeigten, von Künstlerinnen und Künstlern kuratierten Ausstellungen stehen vor allem sparten- und generationsübergreifender Austausch und Geselligkeit im Vordergrund. Eine wichtige Rolle spielt die Musik, auf die nicht zuletzt der Name der Gruppe anspielt. Es wird gemeinsam musiziert und debattiert, philosophiert und fabriziert.
Grundlage für das kreative Zusammenwirken des Borgo Ensembles ist ein erweiterter Kunstbegriff, der neben Malerei, Zeichnung, Skulptur und Installation auch Musik, Performance, philosophische Vorträge und das legendäre Cinema borgese – eine Kurzfilmreihe – umfasst. Das Begleitprogramm zur Ausstellung trägt dem Rechnung und beinhaltet unter anderem musikalische Führungen und Konzerte.
Die Ausstellung stellt 32 Hauptprotagonistinnen und -protagonisten mit ihren Werken vor: Georg Baier, Holger Becker, Reiner Bergmann, Felix Bielmeier, Woldemar Fuhrmann, Uwe Gerhardt, Michael Grebner, Max Hanisch, Lisa Haselbek, Franz Janetzko, Sejin Kim, Cris Koch, Hartmut Kuhnke, Clemens Lang, Hans Lange, Margit Langenberger, Hans Lorenz, Ingeborg Lorenz, Thomas Lunz, Martin Mittmann, Eva-Maria Neubauer, Gerlinde Pistner, Gerry Schuster, Philipp Selig, Andrea Sohler, Sophie Stiller, Heinz Thurn, Christa Varadi, Gerd Weiland, Klaus Wieseckel, Thomas Willi und Reiner Zitta.
Laut und leise, plakativ und nachdenklich, verspielt und ernsthaft, schreiend bunt und monoton – wenn man das Borgo Ensemble charakterisieren will, braucht man einen langen Atem. Denn das Grundprinzip ist multiperspektiv. Die Kunst der Ausstellungskonzeption lag darin, alles unter einen Hut oder das Dach der Kunstvilla zu bekommen. Entstanden ist eine Ausstellung, die so divers ist, wie die Künstlerinnen und Künstler des Kollektivs: sparten-, themen-, medien- und generationsübergreifend.
Vor der Kunstvilla stehen zwei Werke von Philipp Selig. Ein kleines Haus mit malerischer Dachlandschaft und gepflegtem Vorgarten und ein Hochhaus mit glatten Flächen und gleichmäßigen Fensterdurchbrüchen. Wie einst die Barbapapas möchte man lieber in das Haus im menschlichen Maßstab einziehen und nicht zu einer Nummer verkommen.
Durch das gesamte Ausstellungsgebäude zieht sich die 2023 entstandene, ortsbezogene Installation „Aschenputtel gibt es nicht“ der Künstlerin Sophie Stiller. Viele weibliche wie männliche Cinderellas haben ihre Schuhe in der Kunstvilla auf dem Weg zum Zwergenzimmer verloren und warten darauf, entdeckt zu werden. Im Obergeschoss begrüßt der Film „Security Zone“ (2013) von Cris Koch die Besucherinnen und Besucher und verweist spielerisch auf den Unterschied zwischen Kunst und Leben, Kunst und Sicherheit oder auch Kunstpraxis und Museum. Hans Lange arbeitet in Öl auf aufgerissenen Papierumschlägen. Sein „Mittelfränkischer Suprematismus“ entsteht spontan und teilweise in der Art von Klatschbildern, die akzentuiert werden.
In Raum 8 steht ein Tisch. Der Tisch ist das verbindende Element aller bisherigen Domizile des Borgo Ensembles. Er ist Ort der Zusammenkunft, der Geselligkeit und manchmal auch des Disputs. In der Kunstvilla lädt er die Besucherinnen und Besucher ein, sich niederzulassen, ins Gespräch zu kommen und den 2012 gedrehten Film „Borgo Ensemble – Kunst & Freundschaft“ von Martin Mittmann anzusehen, flankiert von Porträts von Künstlerinnen und Künstlern des Borgo Ensembles, die Hans Lorenz aufgenommen hat. Werke von Reiner Bergmann verweisen auf den ehemaligen Standort an der Stadtgrenze: von den Hausnummern bis zu „Wohnungstüren“, die auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt wurden. Eine Assemblage ist auch Lisa Haselbeks großformatige Arbeit „Power Flower“ (2020-2023), die aus ausrangierten Fahrradreflektoren besteht. Assoziationen an Dartscheiben wie an Rosetten gotischer Kirchen drängen sich auf. Auch Eva-Maria Neubauers Installation mit zwei darauf gehängten Papierarbeiten lässt an Mauerwerk denken, und ist doch aus zusammengenähten Nylonstrümpfen gefertigt. Georg Baier bezieht sich mit seinen unbetitelten und doch im Bild beschrifteten Papierarbeiten auf Konsum und Warenwelt, ähnlich wie Reiner Zitta, der mit seiner Installation wehmütig fragt: „Wo sind all die Blumen hin?“ Seine Blumen sind aus Abfallmaterialen gefertigt, anrührend, zerbrechlich und zugleich an die Wohnlichkeit früherer Fensterbänke erinnernd. Clemens Lang untersucht mit seinen Siebdrucken „Form 1, 2 und 5“ von 2023 den Kontrast zwischen Schwarz und Rot, die von Hellblau und Rosa bedrängt werden.
Im Ausstellungsraum 9 sind Werke versammelt, die sich Mikro- wie Makrostrukturen widmen. Fotografien von Martin Mittmann und Andrea Sohler gehen vom Sichtbaren aus und verwandeln es durch Nahsicht in assoziationsreiche Gebilde. Die 2022 und 2023 datierten Decollagen von Cris Koch sind nach Städten benannt. In Budapest steigt roter Rauch auf, in Paris ist eine Unterwasserwelt beheimatet. Die Fotoserie „Der müde Koch“ (2023) von Felix Bielmeier erzählt aus dem Leben eines Kochs vom Trinkgeld bis zu den Küchenabfällen. Raumbeherrschend ist die Arbeit „Ворота к тысячам орущих свиней – Das Tor der 1000 kreischenden Schweine“ (2020/2021) von Thomas Willi. Gelatineplatten wurden mit Acryl überarbeitet, sodass sie eine bernsteinartige Anmutung erhalten haben. Gerd Weiland schließlich lässt seine „Schlafende Henne“ (2014) auf einem Gerüst ausruhen. Kompakt in der Form und zugleich kondensiert.
Eine dystopische Handschrift tragen die Werke in Ausstellungsraum 10. Die Gemälde von Max Hanisch, Sejin Kim und Uwe Gerhardt sind farbig reduziert, zeichnerisch bis malerisch. Während Hanisch Geschichten erzählt, fokussiert Kim auf Einzelmotive. Auf eine Performance zu dem Philosophen Adorno geht Gerhardts Bild von 2023 zurück, in dem sich ein Gesicht aus der Oberfläche schält. Woldemar Fuhrmanns Linolschnitte „Fleurs du Mal I & II“ (2020) zeigen beleuchtete und unbeleuchtete Hochhaustürme und auch in Holger Beckers analoger Collage „Small world big village“ (2018) tauchen Wolkenkratzer auf. Bei Margit Langenberger entstehen aus Betonguss in der Form von Plastikbehältern die antiken Götter „Chronos“ und „Kairos“ (2020). Ebenso statuarisch widmet sich eine Frau dem Gesang auf ihrem Gemälde „Hingabe“ aus diesem Jahr. Inmitten des Raums steht die „Drehmühle“ (1993) von Reiner Bergmann – ein sprechendes Zeichen für die Fragilität allen Seins.
In Raum 11 ist die Welt in Farbe getaucht. Gerlinde Pistners großformatige Waldbilder entführen den Betrachter und die Betrachterin in dschungelhaftes Dickicht, das aber niemals bedrohlich wirkt. Das „Rotkäppchen“ (2023) von Michael Grebner könnte sich dennoch darin verlaufen. Grebner setzt auf malerisch barocke Opulenz. Von Gottfried Graubners Kissenbildern zeigt sich Hartmut Kuhnke inspiriert, wenn er Ruhekissen in rot, blau und gelb (2023) rein mit malerischen Mitteln auf die zweidimensionale Leinwand bringt. Das Vortäuschen von Stofflichkeit ist bei der Textilkünstlerin Ingeborg Lorenz real. Ihre Assemblage vereint Markenkleidung zu einem farbenprächtigen Allover.
Zwischen Pop-Art und Gesellschaftskritik agieren die in Raum 12 ausgestellten Künstlerinnen und Künstler. Fasst Christa Varadi mit Hilfe von Kinderspielzeug und Porzellanfiguren ihre Ideen in Objektkästen mit den Titeln „Amerika I & II“ (2017), malen Thomas Lunz und Gerry Schuster in comic-hafter, kontrastreicher Verkürzung. Zwischentöne kommen von Klaus Wieseckel mit dem Gemälde „Der schlafende Engel“ (2015) und von Heinz Thurn, dessen Holzschnitt „Der letzte Versuch“ von 1977 zum einen das älteste Werk der Ausstellung ist und zugleich darauf hinweist, dass die Hoffnung im Leben wie in der Kunst nicht aufgegeben werden darf.
Weitere Informationen im Internet unter: Kunstvilla Nürnberg (kunstkulturquartier.de)