Nr. 681 (K1) / 20.06.2024
Am Sonntag, 23. Juni 2024, jährt sich der erste Anschlag der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zum 25. Mal. Der damals 18-jährige Mehmet O. wurde 1999 bei einem Sprengstoffanschlag auf seine Pilsbar „Sonnenschein“ in der Scheurlstraße schwer verletzt. Bis heute leidet er unter den körperlichen und psychischen Folgen des Attentats. Mit der Aktion „Verkehrsschilder der Gerechtigkeit“ gedenkt die Stadt ab Freitagnachmittag, 21. Juni, dem Opfer des menschenverachtenden Anschlags. Auf einer Baustelle an der Scheurlstraße, wo sich die Gaststätte „Sonnenschein“ befand, werden drei Tage lang die „etwas anderen Verkehrsschilder“ zu sehen sein.
Die „Verkehrsschilder der Gerechtigkeit“ sind das Ergebnis eines Kunstprojekts, das der Nürnberger Konzeptkünstler und Kulturpreisträger Johannes Volkmann zusammen mit dem Staatstheater und dem Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg ins Leben gerufen hatte: Angelehnt an die weltweit verstandene Bildsprache im Straßenverkehr appellieren sie an die Einhaltung universeller Werte, die für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben unerlässlich sind. Die Motive der Schilder selbst waren auf der Internationalen 4. Gipfelkonferenz der Kinder/Jugend im Jahr 2021 entwickelt worden.
Für Mehmet O., der sich damals mit einer kleinen Bar den Lebenstraum, Gastwirt in seiner Heimatstadt zu werden, erfüllt hatte, ging dieser bereits zwei Wochen nach der Eröffnung jäh zu Ende. Die Täter hatten eine als Taschenlampe getarnte Rohrbombe in der Gaststätte abgelegt, die explodierte als Mehmet O. sie beim Reinigen der Toilette berührte. Dabei wurde er schwer verletzt. Von den Ermittlungsbehörden, die bei der Tat lediglich von fahrlässiger Körperverletzung ausgingen, musste er Verdächtigungen gegen sich und sein Umfeld erdulden. Bereits ein halbes Jahr später wurden die Ermittlungen ohne Ergebnis eingestellt.
„Was dem jungen Mann damals angetan wurde, lässt sich nicht heilen und es macht mich noch heute fassungslos, mit welcher Brutalität und gleichzeitig Feigheit diese menschenverachtende Tat begangen wurde. Dazu kommt die quälende Ungewissheit, die Mehmet O. so lange ertragen musste. Umso mehr freue ich mich über den Austausch, den wir seit einiger Zeit mit ihm pflegen und über seine engagierte Mitarbeit in der Jury des Mosaik-Jugendpreises“, betont Oberbürgermeister Marcus König, der ebenso wie das städtische Menschenrechtsbüro und zivilgesellschaftlich Engagierte aus Nürnberg in gutem Kontakt mit Mehmet O. steht. Dieser hat sich längst eine neue Existenz in einer anderen Stadt aufgebaut, die traumatische Erfahrung, die er als junger Mensch in Nürnberg gemacht hatte, prägt jedoch sein Leben bis heute. Der Anschlag ist bis heute weder juristisch noch gesellschaftlich aufgearbeitet.
Die Hintergründe des Anschlags sind den Behörden erst seit 2013 klar: Damals sagte der später wegen Beihilfe verurteilte Carsten S. im NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht aus. Er berichtete über frühere Andeutungen der NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt über einen Anschlag in Nürnberg, dass sie „eine Taschenlampe“ in einem Geschäft abgestellt hätten. Im Sommer 2013 konfrontierten Beamte des Bundeskriminalamts Mehmet O. mit Fotos von Beschuldigten und Verdächtigen im NSU-Verfahren. Er erkannte darauf die beste Freundin von Beate Zschäpe. Die Brisanz seiner Entdeckung und die wahren Umstände der Tat erfährt er allerdings erst 2018 vom Rechercheteam aus „Bayerischem Rundfunk“ und „Nürnberger Nachrichten“.
„Sobald die Straßenbauarbeiten im Stadtviertel beendet sein werden, plant die Stadt die Errichtung einer Erinnerungstafel an den Anschlag auf die Gaststätte ‚Sonnenschein‘, um auch hier die Mahnung gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit im Stadtbild zu verankern“, so Martina Mittenhuber, Leiterin des Menschenrechtsbüros der Stadt. An der künftigen Haltestelle der Straßenbahn in der Scheurlstraße wird es am Wochenende weitere Informationen zum Anschlag vor 25 Jahren geben, unter anderem ein mit QR-Code abrufbares Interview mit Mehmet O. „Zudem erarbeitet das Menschenrechtsbüro gemeinsam mit engagierten zivilgesellschaftlichen Organisationen, der Medienwerkstatt Franken und dem Bereich Erinnerungskultur und Zeitgeschichte bei der Stadt Nürnberg eine gemeinsame Website, die erstmals umfassend die Verbrechen im Zusammenhang mit dem NSU in Nürnberg darstellt und dabei immer den Fokus auf die Opfer legt“, betont Mittenhuber. maj
Weitere Informationen online unter
www.menschenrechte.nuernberg.de