Nachrichten aus dem Rathaus

Nr. 968 / 24.09.2017

Internationaler Nürnberger Menschenrechtspreis 2017 an die „Gruppe Caesar“ verliehen

Bei einem Festakt im Opernhaus des Staatstheaters Nürnberg ist heute Mittag vor rund 700 Gästen die „Gruppe Caesar“ für ihren Mut, die systematische Folter und Massenmorde in Syrien an die Weltöffentlichkeit zu bringen, mit dem Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis ausgezeichnet worden. Der Preisträger konnte an der Feier nicht teilnehmen, weil er gezwungen ist, versteckt im Exil in Nordeuropa zu leben.

Die Stadt Nürnberg vergab den Preis heuer zum zwölften Mal. Er ist mit 15 000 Euro dotiert. An der anschließenden traditionellen Friedenstafel in der Nürnberger Altstadt nahmen rund 4 000 Bürgerinnen und Bürger teil.

Stellvertretend für „Caesar“ nahm die französische Journalistin Garance Le Caisne die Auszeichnung in Empfang. „Sie hat sich ebenso sensibel wie hartnäckig auf Spurensuche begeben und die Geschichte ,Caesars‘ und seiner Unterstützer auf Grundlage zahlreicher Interviews niedergeschrieben“, sagte Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly zur Eröffnung des Festakts.

Garance Le Caisne sagte in ihren Dankesworten, dass der Internationale Nürnberger Menschenrechtspreis eine große Bedeutung habe. „Caesar“ habe die „volle Wahrheit ans Licht bringen“ wollen. Die Auszeichnung ehrt ihn und seine Unterstützer, die mit ihrem Handeln „unserer wankelmütigen Menschlichkeit den Spiegel vorhalten.“

Hinter der Gruppe steht ein ehemaliger syrischer Militärfotograf mit dem Decknamen „Caesar“, der über 50 000 Fotos aus dem Land gebracht hat, darunter allein 28 000 von Gefangenen, die in den Gefängnissen durch Folter, Hinrichtungen, Unterernährung oder andere Misshandlungen getötet wurden.

Als Garance Le Caisne von den Fotos erfuhr, konnte sie nach monatelanger Recherche Kontakt zu „Caesar“ aufnehmen, der sich schließlich zum Interview bereit erklärte. Daraus und aus weiteren Gesprächen mit ehemaligen Häftlingen entstand das Buch „Codename Caesar. Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie“.

Nach Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 hatte „Caesar“ den Auftrag vom syrischen Militär, Leichen von Soldaten und Oppositionellen zu fotografieren und die Bilder systematisch zu archivieren. Er litt jedoch massiv unter dieser erbarmungslosen Arbeit. Dies brachte ihn schließlich dazu, die Bilder heimlich zu kopieren und mit Hilfe von Unterstützern aus dem Land zu schmuggeln. 2013 verließ „Caesar" mit seiner Familie Syrien. Er wollte die Verbrechen an die Öffentlichkeit bringen. „,Caesar‘ und seine Mitstreiter wollen dafür sorgen, dass die dokumentierten Menschenrechtsverbrechen nicht straflos bleiben. Dafür nahmen sie große Gefahren auf sich“, begründete die international besetzte Jury des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises ihre Entscheidung.

Oberbürgermeister Dr. Maly unterstrich, dass es zu den menschenrechtlichen Verpflichtungen der Staaten gehöre, „Opfern von Menschenrechtsverletzungen einen Anspruch auf Aufklärung, Strafverfolgung und Wiedergutmachung zu garantieren“. „Caesar“ und seine Mitstreiter hätten so mutig gehandelt, weil sie es nicht zulassen wollten, dass Täter straflos bleiben. „Das Töten in Syrien hat noch kein Ende gefunden, die humanitäre Tragödie, in der es längst kein Gut und Böse mehr gibt, hat mit zwischenzeitlich rund 400 000 Todesopfern und mehr als acht Millionen Flüchtlingen ein Jahrhundertmaß erreicht. Allein mehr als fünf Millionen Kindern wurde jede Zukunftshoffnung genommen. Alle Kriegsparteien brechen dort das Völkerrecht, aber, und darin sind sich alle Beobachter einig, die Gewalt, die vom Staatsapparat ausgeht, ist systematisch, sie wird von offiziellen Stellen angeordnet, ausgeführt und dokumentiert“, sagte Dr. Maly.

Die Laudatio hielt Stephen J. Rapp, ehemaliger Botschafter und ehemaliger Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda und beim Sondergerichtshof für Sierra Leone. Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass es mit „Caesars“ Dokumenten möglich sein wird, die für die Gräueltaten in Syrien Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. „Caesars Fotos zeigen mindestens 6 700 Menschen, die in den Gefängnissen des syrischen Staatssicherheitsdienstes zu Tode gefoltert wurden“, stellte Rapp fest. „Caesars“ Material seien handfeste „fotografische Beweise, die sich mit digitalen Metadaten verifizieren lassen, Beweise für Massenverbrechen in den Hafteinrichtungen, die unter ausschließlicher Kontrolle von Personen standen, die direkt der höchsten Ebene des syrischen Regimes unterstanden“. Beinahe 800 der Opfer auf „Caesars“ Fotos seien inzwischen von ihren Familien identifiziert. Über 90 Familien seien zu Zeugenaussagen in Drittländern bereit.

Zwar sei der Weg zum internationalen Strafgerichtshof verwehrt, weil Syrien ihn nicht anerkennt. Eine Überstellung an den Weltsicherheitsrat scheitert regelmäßig am Veto Russlands und Chinas. Doch Stephen J. Rapp setzt darauf, dass nationale Gerichte nach dem Weltrechtsprinzip die Verbrechen strafrechtlich verfolgen. Mit „Caesars“ Beweismitteln und weiteren Dokumenten könne es erfolgreiche Prozesse vor nationalen Gerichten geben, „die den Opfern und Überlebenden die Hoffnung schenken, dass Gerechtigkeit möglich ist“.

Rapp schloss mit den Worten: „Für uns alle steht in diesem Kampf viel auf dem Spiel. Wenn Verbrechen wie die in Syrien begangenen straflos bleiben, wenn Regeln, die seit einem Jahrhundert Bestandteil des Völkerrechts sind, gebrochen werden können, wenn die Nürnberger Prinzipien ohne Konsequenzen ignoriert werden können, was werden wir dann im nächsten innerstaatlichen Konflikt, bei der Niederschlagung des nächsten Aufstands sehen? Die Krisen, mit denen wir es heute zu tun haben, werden dann rein gar nichts sein, verglichen mit denen, die uns in der Zukunft bevorstehen.“

Kenneth Roth, Direktor von Human Rights Watch, erinnerte in seinem Grußwort daran, dass die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 21. Dezember 2016 mit 105 zu 15 Stimmen die Einrichtung einer internationalen und unabhängigen Gruppe zur Ermittlung und Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschlossen hat. „Caesars“ Fotos spielten für diese Arbeit eine wichtige Rolle.

„Diese Fotos sind ein Appell an die Menschheit, sich den Folterknechten und Mördern in Syrien entgegenzustellen und sie nicht davonkommen zu lassen“, erklärte Barbara Lochbihler, Vizepräsidentin des Menschenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments. Es werde „keine wirksame Lösung des Konflikts und keinen tragfähigen Frieden in Syrien geben, wenn die für die Verbrechen Verantwortlichen nicht zur Verantwortung gezogen werden“. Lochbihler nannte die Reaktion der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten auf den Krieg und die Verbrechen in Syrien und ihre Folgen „sehr beschämend“: „Die EU-Politik der Abschottung gegenüber Flüchtlingen steht im krassen Gegensatz zu unseren menschenrechtlichen Werten.“

Am 17. September 1995 hat die Stadt Nürnberg erstmals den Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis vergeben – 60 Jahre nach der Verkündung der nationalsozialistischen Rassengesetze in Nürnberg und 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Seither wird die Auszeichnung alle zwei Jahre Personen verliehen, die sich zum Teil unter erheblichen persönlichen Risiken für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen. Der Preis ist laut Satzung ein Symbol dafür, dass von Nürnberg, der einstigen Stadt der nationalsozialistischen Reichsparteitage und der menschenverachtenden NS-Rassengesetze, „in Gegenwart und Zukunft nur noch Signale des Friedens und der Völkerverständigung ausgehen“. Inspiriert wurde der Preis von der „Straße der Menschenrechte“, die der Künstler Dani Karavan vor mehr als 20 Jahren in Nürnberg geschaffen hat. Die Entscheidung über die Preisvergabe trifft eine internationale Jury unter Vorsitz von Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly. Der Preis steht alle zwei Jahre im Mittelpunkt des vielfältigen Engagements der Stadt Nürnberg, die 1997 das erste kommunale Menschenrechtsbüro Deutschlands einrichtete.

Die bisherigen Preisträger sind 1995 Sergej Kowaljow (Russland), 1997 Khémaïs Chammari (Tunesien) und Abe J. Nathan (Israel), 1999 Fatimata M’Baye (Mauretanien), 2001 Bischof Samuel Ruíz García (Mexiko), 2003 Teesta Setalvad (Indien) und Ibn Abdur Rehman (Pakistan), 2005 Tamara Chikunova (Usbekistan), 2007 Eugénie Musayidire (Ruanda), 2009 Abdolfattah Soltani (Iran), 2011 Hollman Morris (Kolumbien), 2013 Kasha Jacqueline Nabagesera (Uganda) und 2015 Amirul Haque Amin (Bangladesch). sz

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