Zeitzeugengespräch mit der KZ-Überlebenden Ruth Melcer
Dass der 27. Januar kein Tag wie jeder andere ist, war den Lernenden zu Beginn der Stunde noch nicht bewusst. Wir arbeiteten deshalb heraus, dass der heutige Tag der 77. Jahrestag der Befreiung von Ausschwitz ist.
Zwei Schüler hatten schon Vorwissen und berichteten im Vorfeld des Zeitzeugengesprächs, dass es die Rote Armee war, welche die Menschen befreite, nachdem mehr als eine Million Menschen dort von den Nazis ermordet wurden.
Häufig hört man von Auszubildenden den Ausspruch „Schon wieder NS, ich kann es nicht mehr hören“ oder in der Bevölkerung „Irgendwann muss doch damit gut sein“. Diese Aussagen zur kritischen Diskussion gestellt, ergab sich in der TEM12c jedoch ein anderes Stimmungsbild. Armir gab zu bedenken „Geschichte wiederholt sich! Deswegen müssen wir sie kennen, um daraus zu lernen. Ich habe früher auch so gedacht, aber als ich das KZ in Dachau gesehen habe, hat sich meine Meinung geändert.“ Andreas hakte daraufhin ein: „Was in China mit den Uiguren geschieht, beweist das was Armir sagt. Das Thema der Verfolgung von Minderheiten ist leider immer noch aktuell.“ Anschließend wurde festgestellt, dass Rechte in allen Parlamenten sitzen und auch in der Corona-Pandemie Vergleiche mit dem Nationalsozialismus gezogen werden, die zeigen, dass die Menschen entweder nicht wissen, wie schlimm es zuging oder die Zeit bewusst verharmlosen. Und auch im Rahmen von Verschwörungstheorien werden wieder Juden als Sündenböcke herangezogen. Nach dieser Vorabdiskussion konnte es losgehen.
Ruth Melcer war live ins Klassenzimmer zugeschaltet. Man konnte Fragen stellen, welche aufgrund der begrenzten Zeit von 60 Minuten leider nicht alle beantwortet werden konnten. Das Gespräch wurde von Ellen Diehl der FES Bayern kompetent und einfühlsam moderiert und wir waren alle erstaunt, wie wortgewandt, deutlich und eindringlich die hochbetagte Ruth Melcer antwortete. Wir waren gebannt so gebannt von den Erzählungen, man hätte eine Nadel fallen hören können. Aus Rücksicht vor jüngeren Schülern anderer teilnehmender Klassen, wurde auf die grausamen Details verzichtet und trotzdem gingen die Schilderungen unter die Haut, z.B. als sie von ihrem kleinen Bruder erzählte, der von den Nazis erschossen wurde, weil er noch zu klein zum Arbeiten war und ihr eigenes Überleben auch nur von der Spontanidee ihrer Mutter abhing, die damals 9-Jährige als 12-Jährige auszugeben. Somit war sie arbeitsfähig und konnte überleben.
Ein Satz von Ruth Melcer blieb uns besonders in Erinnerung und stellt gleichzeitig einen Appell an uns alle dar: „Dass man mal wieder um die Demokratie kämpfen muss, hätte ich nicht gedacht.“ Deswegen ist es auch so wichtig, dass Lernende nicht nur Faktenwissen zu diesem Thema erwerben, sondern auch emotional davon berührt zu werden. Wir kämpfen oder verteidigen nur dann etwas, wenn es für uns eine Herzensangelegenheit ist. Deshalb organisiert die Fachschaft Politik und Gesellschaft der Beruflichen Schulen 1 nicht nur regelmäßig Gespräche mit den letzten noch lebenden Zeitzeugen, sondern fährt auch jährlich mit den 11. Klassen ins ehemalige KZ Floßenbürg zum Gedenkstättebesuch.
Claudia Belzer, Lehrkraft