Zeitzeuginnengespräch mit Holocaust-Überlebender Ruth Melcer
Online-Zeitzeuginnengespräch mit Ruth Melcer
Die moderne Technik macht es möglich, dass die hochbetagten Zeitzeuginnen der NS-Zeit keine weiten und anstrengenden Reisen auf sich nehmen müssen, um mit Schülerinnen und Schülern in Kontakt zu treten.
Anlässlich des Jahrestages des Pogroms gegen Juden am 9. November 1938 sprach die Holocaust-Überlebende Ruth Melcer über ihr Leben. Auch wir konnten mit insgesamt vier Klassen quer durch alle Ausbildungsrichtungen dabei sein und schon im Vorfeld unsere Fragen einreichen.
Ruth Melcer wurde 1935 nahe der polnischen Stadt Lodz geboren. Sie war vier Jahre alt, als die deutsche Wehrmacht in Polen einmarschierte. Im Alter von neun Jahren wird sie aus dem KZ Auschwitz befreit. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass sie ihren kleinen Bruder nie mehr wieder sehen würde. Er war, weil er als Kind als nicht arbeitsfähig eingestuft wurde, in einem nahegelegenen Wald erschossen worden. Ein Schicksal, dass auch sie ereilt hätte, wenn ihre Mutter sie nicht 4 Jahre älter gemacht hätte, womit sie dann als arbeitsfähig klassifiziert wurde und überleben konnte.
Die Moderation des Gesprächs übernahm Ellen Diehl von der Friedrich-Ebert-Stiftung, die dabei großes Fingerspitzengefühl bewies. Denn die Schilderung der Grausamkeiten kaum nachzuempfindenden Ausmaßes, ringt Ruth Melcer auch heute noch viel ab. Als es beispielsweise um den Lagerarzt Mengele ging, der in Ausschwitz seinen unmenschlichen Experimenten an den Lagerinsassen nachging, vermied Ellen Diehl beispielsweise die Schilderung genauer Details aus Rücksichtnahme auf Ruth Melcer und die teils minderjährigen Zuhöhrenden, fand aber trotzdem die richtigen und treffenden erklärenden Worte.
Nach dem Blick auf Vergangenes, war das Ende des Gesprächs vom Blick auf das Hier und Jetzt geprägt. Auf das Erstarken rechter Parteien in den Parlamenten und die erneute Eskalation des Nah-Ost-Konflikts. Ruths emotionaler Appell an die Verantwortung der Menschen jetzt, die nicht wieder wegsehen dürfen und es in der Hand haben, ob sich die leidvolle Geschichte des jüdischen Volkes abermals wiederholt, ging unter die Haut und rührte zu Tränen. Aber es ging ihr nicht nur um Jüdinnen und Juden, sondern um alle Menschen, die unabhängig von Religion, Herkunft, Arbeitsfähigkeit oder sonstiger Kriterien das Recht haben, in Frieden und Freiheit zu leben. Den Rahmen dafür zu schaffen bzw. unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und Verfassung zu schützen und zu verteidigen, das haben eben vor allem die jungen Menschen in der Hand.
Die Veranstaltung war ein starkes Zeichen gegen die Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit Vieler, die letztlich Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit gewähren lässt und toleriert.
Das Gespräch wurde organisiert von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kooperation mit „Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.“, dem NS-Dokumentationszentrum München, dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München sowie der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz.
Schön, dass wir bei diesem wichtigen Beitrag staatsbürgerlicher Bildung dabei sein durften.
Claudia Belzer, Lehrkraft (Ethik / Politik und Gesellschaft)