Zweiter Ausstellungsbereich
2.1 DIE MEISTERSINGERHALLE
Ein moderner Bau der Nachkriegszeit in einem traditionsreichen Park
Nach 1930 setzt sich die als Moderne bezeichnete, vom Bauhaus initiierte Gestaltungsweise als Internationaler Stil vor allem in den Industrieländern durch. In Deutschland – und insbesondere auch in Nürnberg – kommt es mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten zu einem ins Gigantische überzogenen neuen Klassizismus, der nach römischem Vorbild Kuppeln, Rundbögen und Säulenreihen zu seinen gebauten Symbolen macht. In der Nähe der Meistersingerhalle haben solche Formen als Fragmente das Ende des Nationalsozialismus überlebt.
Als das Bauhaus 1933 verboten wird, hat sich sein letzter Direktor, Ludwig Mies van der Rohe, bereits international einen Namen gemacht. Der Einfluss des Bauhauses reicht weit über den Nationalsozialismus und den zweiten Weltkrieg hinaus. Die junge Bundesrepublik versucht, wieder internationale Kontakte zu gewinnen und knüpft am Erfolg des Bauhauses an. Die Moderne und die Architektur von Mies van der Rohe prägen auch den Entwurf der Meistersingerhalle.
Der Barcelona-Pavillon
Mitte des Jahres 1928 übernimmt Mies van der Rohe die künstlerische Leitung der deutschen Abteilung der Weltausstellung 1929 in Barcelona. Mit seinem Barcelona-Pavillon errichtet er eines der hervorragenden Beispiele moderner Architektur im 20. Jahrhundert. In diesem Pavillon wird nichts ausgestellt – das Ausstellungsobjekt ist der Pavillon selbst. In seiner Eleganz, seiner Präzision und seiner formalen Konsequenz verkörpert der Barcelona-Pavillon die Vorstellung von deutscher Wertarbeit. Zugleich bietet er durch seine offene, fließende Struktur, die jedem Besucher freie Wahl der Wege und möglichen Betrachtungswinkel lässt, einen Ausdruck demokratischer Baugesinnung der Weimarer Republik. Auch die sparsame Ausstattung mit beliebig verschiebbaren eleganten Freischwinger-Sesseln und Tischen aus Edelstahl und Glas sowie die Wahl von langlebigen Natursteinen verdeutlichen ein Grundanliegen dieser Architektur – Weniger ist mehr. Der Barcelona-Pavillon wird zur Hauptattraktion der gesamten Weltausstellung. Angesichts seiner Bedeutung für die Architekturgeschichte wird er in den 1980er Jahren nach den originalen Plänen rekonstruiert.
Ludwig Mies van der Rohe und die Nachkriegs-Moderne
Mit seiner konstruktiv-gestalterischen Logik und räumlichen Offenheit entwickelt Mies van der Rohe (1886–1969) sich zu einem der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Seine stählernen Trag- strukturen sind seinerzeit absolute Neuheiten und ermöglichen auch heute eine hohe Variabilität der Nutzungen und großflächige Verglasungen von Fassaden. Mit der Neuen Nationalgalerie in Berlin realisiert er ein weiteres herausragendes Beispiel eines Architekturstils, der in den 1960er Jahren für einige Zeit auch Architekten im anderen deutschen Staat, der DDR, anregt. An seinem universalen Konzept orientieren sich auch heute viele zeitgenössische Architekten.
Symbole des Wiederaufbaus: Festliche Bauten
Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre hegen viele deutsche Städte den Wunsch, nach bürgerlicher Tradition ein Fest-Gebäude zu errichten. Messehallen und Sportarenen können zwar auch als Begegnungsstätten dienen, aber für das wachsende Verlangen nach Festlichkeit und Repräsentation empfindet man sie als ungeeignet. Dafür bauen die Städte jetzt neue Theater- und Konzerthäuser oder – wie im Fall der Meistersingerhalle, der Bonner Beethovenhalle oder des Dresdner Kulturpalasts – Mehrzweckgebäude mit großen Foyers und Restaurants, die neben dem Kunstereignis auch ihren eigenen Schau- und Erlebniswert für das Publikum haben.
Die Meistersingerhalle lässt sich heute als Gesamtkunstwerk aus der Zeit der sogenannten Nachkriegsmoderne erkennen. Ihre gläsernen Erdgeschossfronten, die einen weiten Blick in den umgebenden Park ermöglichen, und ihre schlichte, aber gestalterisch anspruchsvolle Ausstattung lassen die Vorbildwirkung des Barcelona-Pavillons erkennen. Es gibt in Deutschland nicht mehr viele Bauwerke, die die moderne Architektur der Weimarer Republik auf qualitativ so hohem Niveau verwirklicht und fortgeschrieben haben. Zu diesen seltenen Beispielen gehören die Beethovenhalle in Bonn und der Kulturpalast in Dresden.
2.2 Die Beethovenhalle in Bonn
Nicht nur im Sinne eines der herausragenden Bauwerke der jungen Bundesrepublik, sondern auch durch die hohe Identifikation der Bonner Bürger mit diesem Gebäude ergeben sich Parallelen zur Nürnberger Meistersingerhalle.
Der Bau der Beethovenhalle war eine national wie international beachtete Leistung. Die Bürger der Stadt spielten seinerzeit eine nicht unwesentliche Rolle – die Initiative zum Bau einer neuen Halle ging von ihnen aus, und sie setzen sich noch heute für ihren Erhalt ein. Im neuen Haus sollte vor allem der demokratische, weltoffene Geist der jungen Bundesrepublik zum Ausdruck kommen. Wie die damalige provisorische Bundeshauptstadt Bonn schrieben in der Nachkriegszeit auch zahlreiche andere Kommunen Wettbewerbe für Kulturbauten aus, die dem neuen Geist eine Form geben sollten. Bonn realisierte diese Absicht mit der Beethovenhalle in einer Weise, die, so der Kunsthistoriker Jörg Rüter, als beispielhaft für einen demokratischen Entscheidungsprozess gelten kann, der von der Formulierung der Wettbewerbsforderungen bis hin zu der Frage der Ausstattungsstücke reicht. Den 1. Preis des 1954 ausgeschriebenen Architektenwettbewerbs erhält ein Schüler von Hans Scharoun, der seinerzeit 29-jährige Architekt Siegfried Wolske. Die Beethovenhalle umfasst einen Großen Saal mit 1.980 Plätzen, ein Studio mit 487 sowie einen Kammermusiksaal mit 240 Plätzen. Neben der Nutzung als Konzerthaus für klassische Musik werden in der Halle auch Ausstellungen und Kongresse, Karnevalssitzungen, Partys und andere Feiern veranstaltet.
An der Gestaltung der Beethovenhalle sind bildende Künstler beteiligt, was Siegfried Wolskes Vorstellung von der Halle als einem Gesamtkunstwerk entspricht – einem Gebäude, das Kunst und Architektur zu einer Einheit verbindet.
2.3 Ein Bau für die Bürger – gerettet von Bürgern
Seit ihrem Eintrag in die Denkmalliste der Stadt Bonn im Jahr 1990 besitzt die Beethovenhalle ihren Denkmalstatus mit der Begründung, dass künstlerische, wissenschaftliche, insbesondere architekturgeschichtliche und städtebauliche Gründe für die Erhaltung und Nutzung des Gebäudes sprechen. Trotzdem versuchen Sponsoren aus großen Bonner Unternehmen 2009 die Beethovenhalle zugunsten eines Neubaus für ein Festspielhaus abzureißen: Die 1959 errichtete Beethovenhalle, argumentierten sie, entspricht nicht den heutigen Anforderungen an eine erstklassige Akustik und ist auch von ihrer Funktionalität her nicht mehr auf einem modernen Stand. Die von ihnen präsentierten neuen Wettbewerbsentwürfe gingen alle von einem Abriss der Beethovenhalle aus. Diese Abrisspläne lösen in der Bonner Bürgerschaft einen regelrechten Aufstand aus. Bürgerinitiativen, der Landeskonservator und Kunsthistoriker der Universität setzen sich vehement für den Erhalt des Bauwerks ein. 2011 entscheidet der Rat der Stadt Bonn schließlich, dass ein Abriss der Beethovenhalle zugunsten eines neuen Festspielhauses nicht in Betracht komme.
Der Kulturpalast Dresden
Bei der Planung des Kulturpalastes am Dresdner Altmarkt greift der Architekt Wolfgang Hänsch Impulse der Architektur Mies van der Rohes und auch der Nürnberger Meistersingerhalle auf. Die Planung fällt in eine Zeit, in der sich in der DDR eine Nachkriegsmoderne entfaltet. Die DDR, um internationale Anerkennung bemüht, will in Dresden besonders mit den einzigartigen Kulturschätzen der Stadt punkten. Wie die Nürnberger Meistersingerhalle bewusst als Zeichen für einen demokratischen Neubeginn in der Bundesrepublik Deutschland den verbliebenen Fragmenten der NS-Architektur gegenübergestellt wird, so steht Dresdens 1969 eingeweihter Kulturpalast als Signal des Aufbruchs im Zentrum der kriegszerstörten Altstadt.
Wie die Meistersingerhalle in Nürnberg sollte auch der Dresdner Neubau multifunktional nutzbar sein. Der zunächst auf 2.740 ausgelegte, dann auf 2.435 Sitzplätze reduzierte Festsaal ist als ebenerdiger Bankettsaal nutzbar, mit seinen terrassenförmig ausfahrbaren, überhöhten Sitzreihen jedoch auch für Konzerte geeignet. Hinzu kommen, über ein weiträumiges Foyer erschlossen, ein Studiotheater mit 192 Sitzplätzen, Seminar- und Büroräume sowie ein Restaurant mit Tagungsmöglichkeiten. Wie Mies van der Rohe sieht auch Wolfgang Hänsch in seinem Kulturpalast ein Baukunstwerk. Und auch hier sollen Werke von bildenden Künstlern die Baukunst ergänzen: Das Wandbild Weg der roten Fahne, das den sozialistischen Kulturzweck des Hauses signalisieren soll, Bronzetüren, die auf die Heimatgeschichte verweisen und eine Brunnenanlage, die Festlichkeit und Freude bereiten sollen. Während das Wandbild im Jahr 2001 zum Denkmal erklärt wird, müssen die Brunnen einer Tiefgarage weichen. Die Bürger sind mit ihrem Festsaal zufrieden, die Musiker jedoch nicht. Trotz verschiedener Bemühungen lässt die Akustik sich nicht entscheidend verbessern. Ein Umbau zum reinen Konzertsaal bleibt jahrelang umstritten. Der Architekt Wolfgang Hänsch klagt gegen den Einbau von – dem Leipziger Gewandhaus vergleichbaren – festen Besucherterrassen. 2012 wird seine Klage abgewiesen, mit der er sich gegen die Auflösung jener Einheit von außen und innen wehrt, die der Denkmalschutz der Halle zusichert. Heute werden nach den Plänen des Büros Meinhard von Gerkan ein Konzertsaal, Dresdens Hauptbibliothek und eine Spielstätte für das Kabarett Herkuleskeule gebaut.