Elisabeth Ries: Herzlich willkommen, Frau Haas, es freut mich, dass Sie heute hier sind. Zwar stehen im Fokus der öffentlichen Debatten oft und zurecht: Pflegekräfte, Erzieherinnen und Erzieher und anderes Kita-Personal, denn klar, Familien spüren den Fachkräftemangel an diesen Stellen besonders heftig, und dennoch: die oft weniger wahrgenommene Verwaltung mit Zuschuss- und Leistungsabteilungen, und so auch die wirtschaftliche Jugendhilfe ist ebenso wichtig für Teilhabe-, Bildung- und Gleichstellungsfragen.
Was möchten Sie als erstes loswerden?
Tanja Haas: An alle Familien, die sich unsicher sind: Stellt einen Antrag!
Danke erstmal für die Einladung! Ich und wir merken alleine an den Antragszahlen, dass wir eine wichtige Unterstützung für die Familien in Nürnberg sind, aber es stimmt, im Fokus steht selten das Positive, sondern eher, dass die Bearbeitungszeit lange dauert und dass es sehr bürokratisch zugeht etc.
Den Familien in Nürnberg möchte ich wirklich zuallererst sagen: Stellt einen Antrag. Ihr habt ein Recht darauf, dass wir prüfen, ob eine finanzielle Unterstützung möglich ist. Gerade Familien, die bisher keinerlei Leistungen erhalten oder gebraucht haben, scheuen vor der Antragstellung zurück oder wissen gar nicht von uns. Obwohl ich sagen muss, die Kitas beraten da die Familien inzwischen sehr gut.
Elisabeth Ries: Das hätte ich auch vermutet, dass die Zahlungsschwierigkeit als erstes in der Kita auffällt bzw. von den Eltern dort kommuniziert wird.
Tanja Haas: Ja, und dort wird dann auf uns verwiesen. Wir prüfen ganz individuell, brauchen aber teilweise jede Menge Unterlagen von der Familie, sofern keine Sozialleistungen bezogen werden.
Da ist es bei Familien, die bereits andere Leistungen bspw. vom Jobcenter oder Wohngeld erhalten, sehr viel einfacher, uns genügt dann grundsätzlich als Einkommensnachweis dieser Leistungsbescheid und wir übernehmen die gesamten Teilnahmebeiträge in einem gewissen Stundenumfang – auf eine Einkommensberechnung kann dann verzichtet werden. Eine echte Erleichterung für die Familien - und natürlich auch für die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter.
Elisabeth Ries: Das ist nach dem gesunden Menschenverstand auch das Vernünftigste, wenn wir den Vollzug der Gesetze so organisieren, dass eine Stelle auf die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen – sei es beim Jobcenter oder Sozialamt– aufbaut und auf der Basis dieses Bescheides weitermacht.
Sie haben es schon kurz gestreift: Lange Bearbeitungszeiten. Wie stehen wir da? Und, damit zusammenhängend, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben wir derzeit und wie viele fehlen uns?
Tanja Haas: Aktuell sind im Sachgebiet 20 Personen in Voll- und Teilzeit, die die Anträge bearbeiten. Mit dem Sachgebiet ‚Unterhaltsvorschuss‘ zusammen sind es mehr als 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es kann zum Teil wirklich sehr lange dauern, bis wir einen Neuantrag fertig bearbeitet haben: Mehrere Monate, zum Teil bis zu einem halben Jahr. Das hat mehrere Gründe. Vor und während des Betriebsjahresbeginns im September bildet sich ein Antragsstau, den wir abarbeiten müssen, was bis mindestens Ende des Jahres dauert. In den letzten Jahren hatten wir – auch pandemiebedingt – wirklich prekäre Phasen, teilweise waren fünf Vollzeitkräfte gleichzeitig langzeiterkrankt, das hat sich im Herbst 2022 zum Glück etwas entspannt. In der Sachbearbeitung reißt so etwas ein richtiges Loch, das lässt sich kaum auffangen. Kolleginnen und Kollegen waren und sind zum Teil an der Belastungsgrenze.
Elisabeth Ries: Das ist verständlich, wenn man das Gefühl hat, immer nur hinterherzurennen. Dann kommen sicher die Anrufe von Familien, die sich nach ihren Anträgen erkundigen.
Tanja Haas: Genau, das ist leider ein richtiger Teufelskreis. Das Entgegennehmen von Anrufen und die Beratung am Telefon kosten Zeit. Dann muss man nachsehen, wie weit der Prozess ist und ggf. zurückrufen. In dieser Zeit könnten sich die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter aber auf die Bearbeitung der Anträge konzentrieren. Auch ein Faktor: Gerade Familien, die erstmalig Anträge zur Beitragsübernahme stellen, sind verunsichert und fragen sich, ob alles angekommen ist. Es ist nicht selten, dass wir Unterlagen doppelt oder sogar dreifach erhalten, was die Prozesse wieder verzögert, denn natürlich müssen wie die Unterlagen prüfen, ob vielleicht aktualisierte oder neue Dokumente dabei sind.
Elisabeth Ries: Die Botschaft an die Eltern während langer Phasen der Pandemie war ja – aus epidemiologischen Überlegungen: „Behalten Sie ihre Kinder, wenn möglich, zuhause.“ Wir wussten im Grunde damals schon, und es hat sich im Rückblick leider bestätigt, dass das für viele Kinder und Familien sehr problematisch war und die Kinder in ihre Entwicklung und auf ihrem Bildungsweg stark zurückgeworfen hat. Die Pandemie war für junge Menschen insgesamt eine erhebliche Belastung. Haben Sie während der Pandemie einen Rückgang der Anträge festgestellt?
Tanja Haas: Tatsächlich gingen während der Corona-Zeit weniger Anträge bei uns ein. Ich vermute, dass viele Familien die Situation als zu unsicher eingestuft haben und ihre Kinder dann eher zuhause betreut oder eine andere private Lösung gesucht haben. Aus heutiger Sicht würde man sicher vieles anders machen, aber sich die Entscheidungen von damals jetzt vorzuwerfen, halte ich für unsinnig.
Elisabeth Ries: Spannend für Sie – könnte ich mir vorstellen – war und ist die Wohngeldreform mit einer deutlichen Erweiterung des Berechtigtenkreises.
Tanja Haas: Bei uns besteht die Hoffnung, dass es einfacher wird. Für einen großen Personenkreis, bei dem es vorher zeitaufwändig war und umfangreiche Berechnungen nötig waren, könnte der Antrag bei uns jetzt viel schneller bearbeitet werden, sobald der Wohngeldbescheid da ist. Natürlich haben nicht alle, die nun in den Berechtigtenkreis des Wohngeldes fallen, Kinder. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies auf die Antragsfälle auswirkt.
Elisabeth Ries: Was mich in diesem Zusammenhang auch interessiert, und da haben Sie als erfahrene Verwaltungskraft sicher einen guten Überblick, ist die Unterschiedlichkeit und die gegenseitige Abhängigkeit der verschiedenen sozialen Leistungen mit den jeweils dahinterstehenden rechtlichen Regelungen, das ist schon hochkomplex, oder?
Tanja Haas: Das kann man wohl sagen. Schon für jemanden, der eine Verwaltungsausbildung hat, ist das nicht einfach. Für Laien ist die Vielzahl an Leistungen, Voraussetzungen, Grenzwerte etc. nicht zu durchschauen. Egal ob jemand Muttersprachler ist, aus dem Verwaltungsbereich kommt, selbst für eine Juristin ist das glaube ich schwierig.
Elisabeth Ries: Durchschauen Sie es?
Tanja Haas: *lacht* Für meinen Bereich ja, und ich weiß, was es für Leistungen in unserem Sozialsystem grundsätzlich gibt. Alle Voraussetzungen, die für den Kinderzuschlag erfüllt sein müssen oder welche kleinteiligen Maßnahmen es beim Jobcenter gibt, kenne ich jedoch nicht.
Einen Überblick zu haben ist für Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter enorm wichtig, da sich Leistungen überschneiden oder gegenseitig ausschließen, ein Beispiel: Eine Mutter, Jobcenterkundin, möchte eine Weiterbildungsmaßnahme machen, ein normaler Vorgang und eine gute Sache. Das Jobcenter zahlt hier bis zu 160 Euro Kinderbetreuungskosten. Das ist eine vorrangige Leistung zu unseren Leistungen. Das heißt aber, unser Bescheid ist hinfällig und wir müssen diesen ganz oder teilweise aufheben. Dann gehen die Leistungen anteilig zwischen den Behörden hin und her, bis dann an die Familie ein Betrag X überwiesen wird. Es ist echt viel Bürokratie und für die Eltern komplett undurchsichtig und nicht nachvollziehbar. Sie bekommen in so einem Fall auch einen Bescheid von uns, dass wir die Beiträge nicht mehr übernehmen. Das kann regelrecht Panik verursachen, obwohl am Ende des Tages die Beiträge ja übernommen werden, nur nicht mehr vollständig von uns.
Ein weiterer Punkt, den der Gesetzgeber so geregelt hat, der aber für Familien schwierig ist und bei uns für enorm viel Nachfrage – also Arbeit – sorgt: Wir zahlen ausschließlich die Teilnahmebeiträge, nicht die Essensverpflegung. Um die Kosten dafür erstattet zu bekommen, muss man einen extra Antrag über das „Bildungs- und Teilhabe-Paket“ beim Sozialamt stellen. Dazu genügt unser Bescheid oder z. B. auch der vom Jobcenter.
Gerade für Familien, die das noch nie gemacht haben, ist das sehr kompliziert. Sie bekommen manchmal Rechnungen und sind komplett verwirrt, da sie davon ausgegangen sind, dass wir auch diese Kosten übernehmen. Das bedeutet einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand für die Familien und die Verwaltungskräfte. Da es eine andere Stelle betrifft, können wir hierzu auch keine Auskunft geben. Die Anfragen haben wir trotzdem.
Es sind solche Dinge, die sich aus der Gesetzgebung so ergeben haben, die unsere Vorgangsbearbeitung weiter aufhalten und Familien im milden Fall verwirren und im härtesten vor echte Schwierigkeiten stellen. Viele Kitas sind mit uns in Kontakt und akzeptieren gewisse Verzögerungen, sobald sie wissen, dass der Antrag bei uns liegt. Andere Kitas können das nicht, weil sie sich das auch nicht leisten können, monatelang auf ihr Geld zu warten. Die Familien wiederum können es sich meist finanziell nicht leisten in Vorleistung zu gehen, deshalb stellen sie ja die Anträge.
Elisabeth Ries: An dieser Stelle muss man den Eltern einfach Recht geben, die sich fragen, warum das so kompliziert geregelt ist. Denn dass Kinder, die in die Kita gehen, dort auch etwas essen sollen, ist ja der Normalfall. Da zu antworten ‚wir können das nicht ändern, das kommt vom Gesetzgeber‘, reicht meiner Meinung nach nicht.
Die Frage ist nur, wie lässt sich das ändern. Was ist auf kommunaler Ebene lösbar und wofür braucht es Gesetzesänderungen. Es sind so viele Zahnrädchen, die da ineinandergreifen, manchmal verhakten sie sich, manchmal laufen sie ins Leere, manchmal wissen sie nichts voneinander und drehen sich fleißig vor sich hin.
Tanja Haas: Richtig. Was auf dem Papier noch gut klingt, kann sich im laufenden Betrieb als völlig unpassend herausstellen. Oft wartet ein Amt auf den Bescheid des anderen, Eltern haben dafür kein Verständnis – was ich nachvollziehen kann.
Elisabeth Ries: Gesetze werden ja unter Berücksichtigung gewisser gesellschaftlicher Grundannahmen geschrieben. Dann kommen Fälle und Ereignisse, wo es einfach nicht passt.
Das ist uns im Zusammenhang mit ukrainischen Müttern begegnet, die mit ihren Kindern 2022 nach Nürnberg geflohen sind, während die Väter in der Ukraine bleiben mussten. Vom Gesetz her kommt der logische Reflex: Unterhalt bzw. Unterhaltsvorschuss ist eine vorrangige Leistung. Es muss also, nach geltendem deutschen Leistungsrecht, geprüft werden, ob der Vater nicht Geld schicken kann.
Als das Gesetz geschrieben und verabschiedet wurde, hat niemand an so einen weltpolitischen Schock gedacht. Zunächst ist es auch sinnvoll, dass das Kind ein Recht auf Unterhalt durch den Papa hat. Und wenn der nicht in der Lage ist oder wir seiner nicht habhaft werden, dann gibt es eine entsprechende Ausfallbürgschaft staatlicherseits: Den Unterhaltsvorschuss.
Als ich das zum ersten Mal gehört habe, dass automatisch der UVG Fall ausgelöst wird – der ja ebenfalls aus öffentlichen Geldern finanziert wird -, dachte ich: Muss das denn sein? Müssen wir diese aufwändige Schleife einziehen, lohnt sich dieser Bürokratieaufwand tatsächlich? Können wir nicht einfach auf die Prüfung verzichten und Sozialleistungen aus einer Hand bezahlen, bis die Geflüchteten hier Arbeit gefunden haben?
Davon abgesehen: Es tut sich momentan ja ziemlich viel im Leistungsrecht. Wie erleben Sie das?
Tanja Haas: Ja, das stimmt und bis alles rundläuft, wird es noch dauern. Bei uns spielt die Erhöhung des Kindergeldes, die Änderung der Regelbedarfsstufen, Unterhaltsvorschuss, die Mietobergrenze usw. eine Rolle, das hat natürlich Auswirkungen auf unsere Einkommensberechnungen.
Das bedeutet für viele Familien jetzt wieder eine Chance, deren Anträge wir bisher knapp ablehnen mussten. Im Fall der ukrainischen Mütter bezüglich der Unterhaltsvorschussleistungen mussten wir pragmatisch sein und auf dem kurzen Dienstweg mit den Kolleginnen und Kollegen im Jobcenter Lösungen finden, um sowohl den Gesetzen zu entsprechen als auch arbeitsfähig zu bleiben. Solche Absprachen sind wichtig.
Außerdem müssen Prozesse optimiert werden, an vielen Stellen könnte man automatisieren etc. aber das hängt eben an vielen Faktoren. Und es ist auch eine Investition, also letztlich eine Frage des Geldes.
Elisabeth Ries: Noch offen ist, welche Wirkungen die geplante Kindergrundsicherung erzielen wird – es wird eine Bündelung verschiedener familienbezogener Leistungen angestrebt, aber wie die Umsetzung genau erfolgen wird, bleibt noch abzuwarten.
Das eine ist das Geld, das andere sind bestehende Strukturen, die man neu denken müsste, die Überwindung von Widerständen, der Anschubaufwand. Bis man eine Lösung entworfen hat – und da ist noch nichts umgesetzt, nichts implementiert – gehen schon sehr viele Ressourcen ins Land.
Tanja Haas: Genau. Ein junges Beispiel ist die e-Akte. Im Vorfeld musste vieles neu überlegt werden, wir mussten unser bisheriges Ablagesystem neu denken. Das war ein langer Prozess, wir hatten Schulungen, die Hardware musste funktionieren.
Die Einführung hat letztlich gut geklappt, aber gerade am Anfang, nach so einer Umstellung, dauert alles länger. Man hat andere Vorteile, wichtige Vorteile, die einem die Arbeit auch erleichtert, aber das Anlegen und Führen von Akten, Vorgänge in die Akte bringen etc., dieser Umstellungsprozess hat lange gedauert. Aber klar, wir waren eine andere Aktenführung gewohnt. Manchmal muss man einen langen Atem haben und einen Mehraufwand in Kauf nehmen, bis es dann besser wird.
Elisabeth Ries: Wie erleben Sie den Prozess rund um das neue Sozialrathaus in der Quelle? Es ist ja nicht nur ein einfacher Umzug, der da ansteht, sondern das Zusammenführen von mehreren Dienststellen, die derzeit an unterschiedlichen Standorten untergebracht sind. (Hinweis im August 2023: Das Gespräch fand vor der Insolvenz des Bauträgers statt.)
Tanja Haas: Ja, das ist schon sehr spannend. Uns erwartet eine völlig neue Art zu arbeiten, sowie ein grundlegend anderes Bürokonzept. Ich erlebe alles bei den Kolleginnen und Kollegen: Viele freuen sich und sind positiv gespannt, andere eher zurückhaltend bis hin zur Ablehnung. Das ist normal. Ich finde, Transparenz ist wichtig.
Dass man nicht alle Mitarbeitenden bei jedem Detail beteiligen kann, ist klar, aber zumindest sollten die Gründe für die Entscheidungen, die da getroffen werden und so viele Menschen in ihrer täglichen Arbeit betreffen, kommuniziert werden, sodass man nach und nach auch ein Gefühl für dieses Mega-Projekt bekommt.
Elisabeth Ries: Ja, das stimmt. Leider mussten die vorgesehenen Besichtigungen zu einem frühen Zeitpunkt auch für die Mitarbeitenden pandemiebedingt ausfallen. Ich freue mich in jedem Fall auf die Chance, die das neue Sozialrathaus – ich sage nicht so gern The Q – verspricht: Durch die neue Raumsituation und Arbeitsweise kann es zu einem gemeinsamen Verständnis von Aufgabenwahrnehmung und Bürger*innenorientierung kommen, dass eine neue Art der Kollegialität erreicht werden kann, steht für mich außer Frage, vielleicht gelingt es auch, die Erkenntnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der täglichen Arbeit besser umzusetzen. Es bleibt abzuwarten.
Noch eine Frage zu Ihnen persönlich: Möchten Sie mir noch erzählen, wie Sie beim Jugendamt und dann an dieser Stelle gelandet sind?
Tanja Haas: Gern! Ich komme aus der Stadtverwaltung Erlangen und habe da auch meine Ausbildung absolviert. 2015 bin ich nach Nürnberg gezogen und habe mich auf die Stelle im Vorzimmer der Dienststellenleitung des Jugendamts Nürnberg beworben und war dann vier Jahre bei Frau Dr. Schröder. Währenddessen habe ich meine Weiterbildung gemacht und als ich diese dann abgeschlossen hatte, war meine jetzige Stelle ausgeschrieben. Ich wollte auf jeden Fall im Jugendhilfebereich bleiben, da fühle ich mich sehr wohl. Bisher habe ich das keine Sekunde bereut.
Elisabeth Ries: Vorzimmer. Das ist eine Generalistinnenaufgabe, da sitzen Sie sozusagen an der Schaltstelle. Wenn man mal mitbekommen hat, mit welchen Nöten und Beschwerden Menschen da hinkommen …
Tanja Haas: Das war schon sehr interessant, aber teilweise auch bedrückend, mit welchen Problemen Menschen zu uns kommen. Da muss man aber auch sagen, dass das Jugendamt einfach sehr groß ist.
Elisabeth Ries: Das Jugendamt ist tatsächlich riesig und zwar nicht nur hinsichtlich der gewaltigen Anzahl von circa 2.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Ich behaupte, es gibt keine Dienststelle, die an diese Bandbreite der Aufgabenstellungen rankommt. Auf der einen Seite der Schutzauftrag, der in die existenziellste aller Notlagen vordringt, die man sich nur vorstellen kann, nämlich der Frage, ob ein Kind in seiner Familie bleiben kann, bis hin zum gestaltenden und präventiven Bereich, offene Kinder und Jugendarbeit, Familienbildung, die wirtschaftliche Jugendhilfe; Kinder und Jugendliche wahrhaftig und nicht nur als Lippenbekenntnis teilhaben und mitgestalten zu lassen (laut!, Spielflächenplanung), die ganztägige Betreuung und Bildung mit den verschiedenen Konzepten und zu erfüllenden Rechtsansprüchen, das Planerische – wie viele Kita-Plätze brauche ich wann und wo und mit welchem Förderbedarf etc. – und an diesem Punkt tut man sich in der Kommunikation so schwer, denn einerseits stehen wir, wenn man sich den Kita-Bereich anschaut, in unseren Planungen recht gut da, und gleichzeitig kommen immer wieder Familien in höchster Not, die noch keine Platzzusage bekommen haben.
Dieses Spannungsfeld, dass das Jugendamt sowohl plant als auch hinterher ganz konkret mit den Auswirkungen der Planungen auf die einzelnen Menschen, Familien und Kinder konfrontiert wird, das ist schon spannend.
Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!