IV. Nürnberg als bayerische Stadt (seit 1806)
3. Kommunale Einrichtungen
Hartmut Frommer *
* Die historische Einleitung zu den Loseblattausgaben des Stadtrechts wurde 1939 ("Die geschichtliche Entwicklung des Nürnberger Ortsrechts"), 1957 und 1972 ("Geschichte des Nürnberger Ortsrechts", 1. und 2. Auflage) von Archivdirektor Dr. jur. Werner Schultheiß besorgt. Sie ist für die Internet-Ausgabe der Jahrtausendwende von Stadtrechtsdirektor Dr. jur. utr. Hartmut Frommer durchgesehen und im Teil IV (seit 1806) neu bearbeitet worden.
Eine besondere Entwicklung ergab sich hinsichtlich der Kommunalwirtschaft. Die liberalistische Auffassung des 19. Jahrhunderts überließ es Privaten, auch für das Gemeinwohl bestimmte Betriebe, wie z. B. das Gaswerk (1847) oder die Straßenbahn (1881), zu errichten und zu betreiben. Gegen Ende des Jahrhunderts mußten aber solche Unternehmen in öffentliche Regie übernommen werden, um ihre Gemeinnützigkeit und ihren raschen modernen Ausbau zu sichern. Die in der Hauptsache schon von der Reichsstadt organisierte Wasserversorgung wurde entsprechend vergrößert; auch wurde ein städtisches Elektrizitätswerk errichtet. 1894 baute die Stadt einen modernen (und in der Folgezeit ständig erweiterten) Schlachthof am alten Kanalhafen. Zur Sicherstellung der Ernährung erwarb die Stadt im Ersten Weltkrieg sogar Landwirtschaftsbetriebe und gründete die (spätere) Bayerische Milchversorgung. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es erst recht, die Ver- und Entsorgungsanlagen modern auszugestalten. Neu gebaut wurden die Müllverbrennungsanlage in St. Leonhard, der Großmarkt in der Leyher Straße und die Neue Messe in Neuselsbrunn, erweitert die Kläranlage in Muggenhof und die Wasserversorgung (auch durch Beitritt zum Zweckverband Wasserversorgung Fränkischer Wirtschaftsraum).
Die unaufhaltsame Zunahme des Gesamtverkehrs machte die Verbesserung des Straßennetzes, die Errichtung zahlreicher Brücken, Ausbau und Schließung des bereits in den 20-er Jahren geplanten Mittleren Ringes sowie den Bau des Internationalen Flughafens und der U-Bahn notwendig.
Als Pioniertat für viele andere Kommunen in Richtung auf Steuer/ Finanzierungsverbund und Effizienzsteigerung erwies sich die zum 01.01.1960 erfolgte Gründung der stadteigenen Städtischen Werke GmbH, die ihrerseits Alleinaktionärin der Energie- und Wasserversorgung EWAG und der Verkehrsaktiengesellschaft VAG wurde.
Derartige „Eigengesellschaften" sind auch sonst üblich geworden, sowohl mit städtischer Alleinbeteiligung wie bei der großen Wohnungsbaugesellschaft (WBG), der Werkstätte für Behinderte (WfB) und der Beschäftigungsgesellschaft Noris Arbeit (NOA) als in Parität mit dem Freistaat wie bei der Flughafen Nürnberg GmbH (FNG), der (nicht nur wegen der Internationalen Spielwarenmesse äußerst erfolgreichen) Nürnberg Messe und der neues Wohnen fördernden Projektgesellschaft St. Leonhard oder mit städtischer Minderheitsbeteiligung wie bei der Hafen Nürnberg-Roth GmbH, die den 1972 eröffneten Staatshafen Nürnberg am seit 1990 durchgehend schiffbaren Main-Donau-Kanal betreibt. Es gibt im „Konzern Stadt" aber auch die traditionellen Formen der Regie- (Bestattungsanstalt, Märkte) und neuerdings der Eigenbetriebe (Stadtentwässerung – StEB, NürnbergStift – NüSt, Abfallwirtschaft- und Stadtreinigungsbetrieb – ASN). Insgesamt steht die Kommunalwirtschaft am Ende des 20. Jahrhunderts vor neuen und schweren Herausforderungen in der Konkurrenz mit Privatunternehmen, die ihre alten Schwachpunkte (wenigstens zum Teil) überkompensiert haben. Durch Vorgaben der EU und deren nationale Umsetzung besteht ein starker Wettbewerbsdruck auf VAG und EWAG, auf den letztere seit 1999 durch Verbindung mit anderen Stadtwerken und dem Fränkischen Überlandwerk reagiert hat. Mit dem Schlacht- und Viehhof wurde (1997) erstmals eine große Einrichtung der Kommunalwirtschaft ohne öffentlichen oder privaten Ersatz geschlossen.
Auf den Spuren städtischer Spitäler und Armenfürsorge, dann aber machtvoll von der Aufgabe moderner Daseinsvorsorge erfaßt, entwickelte sich das 1896 in St. Johannis errichtete Krankenhaus (1993 um das Südklinikum in Langwasser erweitert) zum größten kommunalen Klinikum Deutschlands (Stand 01.01.2000: 2.458 Betten in 32 Kliniken).
Seit 1998 wird es (von der Stadt getrennt) als eigenes Kommunalunternehmen nach der Bayer. Gemeindeordnung geführt. Die Rechtsform der selbständigen Anstalt des öffentlichen Rechts war bis dahin allein den Sparkassen vorbehalten und von der 1824 gegründeten Stadtsparkasse auf ihrem Expansionsweg erfolgreich genutzt. Aber auch dort werden nach der Jahrtausendwende Fusionen zu einer großen Regionalsparkasse erwartet.
Überhaupt ist der von der Verwaltungsreform der 90-er Jahre entwickelte Konstrukt des „Konzerns Stadt" ohne die zahlreichen öffentlich-rechtlichen Filiationen nicht denkbar. Begonnen hat es in Nürnberg mit dem Zweckverband Reichsparteitagsgelände, dessen Auflösung Planung und Bau der „Trabantenstadt" Langwasser ermöglichte. Heute – nach dem Ende der Eingemeindungen – sind Zweckverbände primär Instrument interkommunaler Zusammenarbeit. Dabei kann es um nachbarschaftliche (wie bei den Gewerbeparken, von denen Nürnberg-Fürth-Erlangen gescheitert, Nürnberg-Feucht indes sehr gut gelungen ist), aber auch um regionale Kooperation gehen. 1973 wurde aus der Städteachse Erlangen-Fürth-Nürnberg-Schwabach sowie den Landkreisen Erlangen-Höchstadt, Fürth, Nürnberger Land und Roth der Planungsverband Industrieregion Mittelfranken gebildet. Inzwischen ist jedoch die Region Nürnberg weit darüber hinaus gewachsen. Als Schrittmacher und Motor hat sich dabei der 1986 gebildete Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN) erwiesen, dessen kommunale Seite ebenfalls zweckverbandlich organisiert ist. Der Großraum Nürnberg umfaßt am Ende des Jahrhunderts jedenfalls 2,11 Millionen Einwohner auf 11.534 km² und hat damit innerhalb der zehn großen deutschen Ballungsräume einen guten Platz. Um Management und Marketing dieser Region ist eine Vielzahl wirtschaftlicher Zusammenschlüsse und der Verein „Die Region Nürnberg" bemüht. Indem das Europäische Raumordnungskonzept EUREK von 1999 in Bayern neben der „Metropol"-Region München noch eine zweite, weit nach Osten geöffnete – deshalb „Gateway-"Region Nürnberg vorsieht, zeichnen sich hier deutlich Konturen einer Region von europäischem Rang ab, deren Verwirklichung Aufgabe der Stadt im 21. Jahrhundert sein wird. Dabei kann sie sich – wenn auch nicht ausschließlich – auf ihr weltbekanntes Image als Stadt Dürers, der Meistersinger, des Christkindlesmarktes, der Lebkuchen und der (neuerdings durch einen Ratsbeschluß als Herkunftsbezeichnung geschützten) Bratwürste verlassen, nachdem ein geglückter Wiederaufbau innerhalb des Stadtgrabens das einzigartige Bild der mittelalterlichen Großstadt immer noch weitgehend erhalten hat.
Aus der Zeit, in der das staatliche Interesse am höheren Schulwesen sich auf humanistische Gymnasien beschränkte, ist der Stadt ein reich gegliedertes kommunales Schulwesen mit Gymnasien, Real- und Berufsschulen geblieben, das es sonst innerhalb Bayerns nur selten und außerhalb Bayerns nirgends gibt.
Nürnberg hat eine große Anzahl weiterer kultureller Einrichtungen (u. a. Städtische Bühnen, Museen, Tiergarten, Meistersinger- und Tafelhalle sowie das Stadion, das zusammen mit dem Zeppelinfeld eine der großen europäischen Spielstätten für Rock-Konzerte geworden ist) geschaffen, die auch von den interessierten Kreisen der näheren und weiteren Umgebung besucht werden. 1919 errichtete die Stadt eine eigene Handels-Hochschule, nachdem 110 Jahre zuvor Montgelas die reichsstädtische Universität Altdorf zu Gunsten von Erlangen geschlossen hatte. 1961 gliederte Bayern die Hochschule als Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der nunmehrigen Universität Erlangen-Nürnberg an, der die Erziehungswissenschaftliche Fakultät folgte. Dazu kommt die staatliche Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule und die Evangelische Fachhochschule. Neben der – bereits 1638 gegründeten – Akademie der Bildenden Künste entstand 1998/99 als zweite Kunsthochschule durch Zusammenschluß des Nürnberger Meistersinger-Konservatoriums mit dem Augsburger Leopold-Mozart-Konservatorium die Musikhochschule Nürnberg-Augsburg (mit Hauptsitz Nürnberg) die – in der Trägerschaft eines aus den Städten Nürnberg und Augsburg sowie den Bezirken Mittelfranken und Schwaben gebildeten Zweckverbandes stehend – die einzige kommunale Hochschule Deutschlands ist.
Verständlich ist es, wenn die Bewältigung der kommunalen Aufgaben immer höhere Kosten verursachte und die Finanzierung immer schwieriger wurde, da Bayern und Reich bzw. Bund den Gemeinden zu geringe Einnahmequellen an Steuern, Abgaben oder Finanzausgleich überließen. Nürnberg wurde 1818 von Bayern so ungenügend dotiert, dass bei Einkünften von 72 217 Gulden ein Defizit von 6371 fl. entstand. So ging die Stadt bald zur Aufnahme von Schulden über, die besonders in den letzten Jahrzehnten dem Wiederaufbau und der Modernisierung der Stadt dienten. Im Jahre 2000 beträgt der Verwaltungshaushalt 2,5 Mrd. DM, der Vermögenshaushalt 0,3 Mrd. DM. Gleichzeitig belaufen sich die Schuld auf 1,65 Mrd. DM, das Vermögen auf 7,71 Mrd. DM. Die Tendenz, der Stadt die eigenen Steuerquellen zu verstopfen und sie in immer stärkerem Maße von staatlichen Zuweisungen und Ausgleichsleistungen abhängig zu machen, hält unverändert an. Nachdem der Finanzausgleich in Bayern nach wie vor die Sonderlasten der Großstädte nur ungenügend berücksichtigt, ist die Finanzausstattung der Stadt zu Beginn des 3. Jahrtausends bedrückend schlecht. Dies stellt derzeit die größte Gefährdung der kommunalen Selbstverwaltung dar. Es war insbesondere die Haushaltslage, die seit 1991 zu den gewaltigen Anstrengungen der Verwaltungsreform geführt hat; immerhin hat die Zahl der städtischen Mitarbeiter dadurch erstmals wieder die 10.000-Grenze unterschritten.
Abschließend soll noch hingewiesen werden auf die Vielzahl bayerischer Behörden und Gerichte (Oberlandes-, Amts-, Arbeits-, Finanz- und Sozialgericht Nürnberg; Landesarbeitsgericht Nordbayern; das Landgericht heißt seit der Zusammenlegung mit Fürth 1914 Landgericht Nürnberg-Fürth) in Nürnberg. Kommunale Gerichte sind an sich ausgeschlossen, trotzdem war es neben dem aus reichsstädtischer Zeit übernommenen und erst im Dritten Reich endgültig erloschenen Merkantil-, Friedens- und Schiedsgericht das wichtige Gewerbegericht als Vorgänger der Arbeitsgerichtsbarkeit 1890-1927 in städtischer Trägerschaft. Die lange Garnisonsstadtstradition von den reichsstädtischen Soldaten über bayerische Armee, Reichswehr und Wehrmacht bis zur US-Army und Bundeswehr fand 1993 ihr Ende. Im Gelände der ehemaligen Südkaserne befindet sich nunmehr das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, als der – nach der Bundesanstalt für Arbeit – zweiten oberen Bundesbehörde in Nürnberg.