III. Die Reichsstadt (1254/72 bis 1806)
5. Reformen im 15. Jahrhundert
Werner Schultheiß *
* Die historische Einleitung zu den Loseblattausgaben des Stadtrechts wurde 1939 ("Die geschichtliche Entwicklung des Nürnberger Ortsrechts"), 1957 und 1972 ("Geschichte des Nürnberger Ortsrechts", 1. und 2. Auflage) von Archivdirektor Dr. jur. Werner Schultheiß besorgt. Sie ist für die Internet-Ausgabe der Jahrtausendwende von Stadtrechtsdirektor Dr. jur. utr. Hartmut Frommer durchgesehen und im Teil IV (seit 1806) neu bearbeitet worden.
Im 14./15. Jahrhundert reifte Nürnberg zu einem politischen und kulturellen Kraftzentrum Deutschlands heran. Höhepunkte in seinem damaligen Leben waren die Jahre 1356 und 1423. Am Nürnberger Hoftag von 1356 verkündete Kaiser Karl IV. die "Goldene Bulle". Dieses Reichsgrundgesetz des Mittelalters sanktionierte auch den seit Rudolf von Habsburg geübten Brauch, den ersten Reichstag des neugewählten Königs in Nürnberg abzuhalten.
In den Hussitenstürmen vertrauten 1423 die Kurfürsten und König Sigismund der Stadt für ewige Zeiten die Reichskleinodien (d. h. Reichskrone, -apfel, -szepter und -schwert sowie Krönungsornate und Reliquien) an, die bis 1796 in der Heilig-Geist-Kirche verwahrt wurden. Damals wurde Nürnberg – nach mittelalterlichen Maßstäben - Großstadt. Für die Zeit gegen Ende des 15. Jahrhunderts geht man von ca. 50 000 Einwohnern innerhalb des heute noch erhaltenen Mauerrings aus.
Im gleichen Maße wie sich die weltlichen, geistlichen und kommunalen Reichsstände zu Staaten entwickelten, sank die Bedeutung des Königs und Kaisers. Das Reich wurde allmählich zu einem losen Verband von Staaten, die mehr das eigene Interesse verfolgten als gemeinsame Ziele. Wahrung des Landfriedens, Reichsgericht und Reichsgesetzgebung versagten. Deshalb griff die Feme ein, gegen die sich auch Nürnberg erfolgreich wehrte. Der Ruf nach Reichsreform verstummte nicht mehr, seitdem das Reich in den Hussitenkriegen Ohnmacht und Unfähigkeit gezeigt hatte. Dass Reichsregiment und Reichskammergericht 1500/02 und 1521/24 in Nürnberg tagten, zeugt von hohem Ansehen unserer Stadt.
Die rückständige Gerichtsverfassung und der veraltete Prozeß gaben Anlaß, dass das römische Recht, das die Juristen auf den italienischen Universitäten als umfassendes System kennengelernt hatten, zunächst im Reichshofgericht eingeführt wurde. Auch in Nürnberg machte sich während des 15. Jahrhunderts bemerkbar, dass das bisherige Gewohnheitsrecht nicht mehr den Bedürfnissen der rasch fortschreitenden Entwicklung insbesondere des Wirtschaftslebens genügte. Der Rat erkannte die Notwendigkeit zur Revision des Ortsrechts. Beschlüsse von 1452 und 1458/59 berichten von der Überarbeitung der Stadtbücher, besonders des "Wandelbuchs". Dieses war die Sammlung von Polizeivorschriften, deren Übertretung durch das Fünfergericht (Ausschuß von fünf Ratsherren) mit bestimmten "Wändeln" (Bußen) bestraft wurde. Ungefähr 1496 wurde das damals geltende Satzungsrecht der Stadt in einer großen Pergamenthandschrift niedergelegt. Hervorhebenswert erscheint, dass in der Einleitung zur Hochzeitsordnung die Verbote von überflüssigem Luxus in Kleidung, Ernährung und Geschenken mit dem "gemeinen Nutzen und der gemeinen Notdurft" - also durchaus modernen Gesichtspunkten- begründet werden. Um 1560 erlebte dieses Wandelbuch eine Neuauflage. In ähnlicher Weise scheinen gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Handwerksordnungen in einer verlorenen Kodifikation zusammengefaßt worden zu sein. Die Neuauflagen von 1535 und 1629 geben ein umfassendes Bild von der steten Fürsorge des Rates um das Gewerbe und vom Zustand des Nürnberger Handwerks.
Schon um 1460 wurde die alte Stadtgerichtsordnung reformiert; diese "neue" war noch ganz deutschrechtlich. Wie stark damals das Bedürfnis nach schriftlicher Aufzeichnung bzw. Reformation des Verfahrens war, zeigt auch der Erlaß der Zeidelgerichtsordnung von Feucht und der Gerichtsordnung des Egidienklosters von 1478 für dessen Grundherrschaft. Nach der Gerichtsordnung von 1497 wurde das Stadtgericht vom Rat, der bisher in seiner Gesamtheit Recht gesprochen hatte, getrennt und einem Kollegium von acht Schöffen aus den ehrbaren Geschlechtern unter dem Beirat von zwei gelehrten Ratskonsulenten anvertraut. Die Kriminaljustiz behielt sich der Rat weiterhin vor. 1549 und 1654 erschienen Neuauflagen der Stadtgerichtsordnung.
Die gesamte Stadtverfassung und Verwaltung schildern 1516 der Ratskonsulent und Humanist Christoph Scheurl im bekannten Brief an seinen Freund Staupitz, und das Ämterbüchlein von 1516. Da die Nürnberger auf ihren weiten Handelsreisen Erfahrungen sammelten und zu Hause verwerteten, ist es verständlich, dass hier eine musterhafte Verwaltung entstehen konnte. Oftmals wurde daher Nürnberg wegen seiner vorbildlichen Verwaltung und Handwerksverfassung von auswärtigen Staaten und Städten um Rat gefragt.