„Prost!“ – Regionales Bier steht hoch im Kurs
Von Andreas Leitgeber (Text) und Christine Dierenbach (Fotos)
„Bier ist das einzige weltweite Getränk mit einer unglaublichen Geschmacksvielfalt und mit dem sich die Genießer stark identifizieren“, sagt Fred Höfler. Der Geschäftsführer der Tucher Bräu GmbH & Co. KG muss es wissen. Tucher ist mit 14 Biersorten im Geschäft. Dabei ist sie nicht nur eine von deutschlandweit 1 352 Brauereien, sondern die größte Brauerei in Bayern. Und das Unternehmen ist ein echtes Original: Die Geschichte reicht zurück bis zum einst städtischen Weizenbrauhaus (1672 bis 1806), das später zum Königlichen Bräuhaus wurde, bis der Freistaat es 1855 an die Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung verkaufte.
Seit 1966 braute Tucher am Schillerplatz in der Nordstadt, bis 2007 die neue Braustätte am Europakanal fertig war. Das Zwei-Städte-Sudhaus der Traditionsbrauerei, die heute zur Radeberger Gruppe als Teil des Familienunternehmens Dr. August Oetker KG gehört, steht direkt auf der Nürnberg-Fürther Stadtgrenze. Auch wenn auf dem ehemaligen Brauerei-Areal im Nürnberger Norden Wohnungen entstanden, erinnern der markante Backsteinturm und die Gebäude der Mälzerei und des Sudhauses immer noch an die Tucher-Ära. Zudem soll in den historischen Gemäuern ab Frühjahr 2016 ein kleines Weizenbrauhaus mit Ausschank einziehen und Interessierten zeigen, wie zum Beispiel das Sebaldus Weizen gebraut wird.
Lange Zeit war Tucher die einzige Brauerei, die noch in Nürnberg braute. Die einst 42 Brauereien (1579) reduzierten sich bis 1925 auf fünf. 1994 fusionierten die zwei übrig gebliebenen, Tucher und Patrizier. Auch heute ist die Zahl der Nürnberger Brauereien überschaubar, aber sie wächst. Dazu gehört etwa die Altstadthofbrauerei unterhalb der Burg, in der jährlich 1 500 Hektoliter gebraut werden. Reinhard Engel arbeitete als Braumeister und Technischer Leiter bis 2006 bei der Neumarkter Lammsbräu. 2006 übernahm er die kleine Brauerei unterhalb des Tiergärtnertorplatzes, etwas später das Bräustüberl Schwarzer Bauer und die Kellerkneipe Schmelztiegel gleich nebenan. Traditionell verarbeitet er nur Hopfen und Malz, gekeimtes und getrocknetes Getreide, in Bioqualität.
Fränkische Biere als Craft-Biere
Die beliebteste Sorte bei ihm ist Rotbier. „Es hat in Nürnberg eine lange Tradition und war vom 14. Jahrhundert bis um 1900 das am meisten getrunkene, bevor sich das Helle durchsetzte“, sagt Engel. Sein Helles, Dunkles, Rotbier sowie Bock- und Weißbier braut er handwerklich in kleinen Mengen. Er filtriert oder erhitzt es nicht, um es länger haltbar zu machen. Deswegen muss es ständig gekühlt werden und nach drei Monaten getrunken sein.
„In meinem Bier und dem vieler kleiner Brauereien leben Hefe und Eiweiß. Das unterscheidet es von den Bieren der Großbrauereien, die lange haltbar sein müssen“, erklärt der Braumeister. Generationen hat Engel mit dem süffigen Inhalt seiner Ein-Liter-Bügelflaschen schöne Stunden auf dem Tiergärtnertorplatz, gleich nebenan, beschert. Dieser war bis Ende der 1990er Jahre ein beliebter Treffpunkt, besonders jüngere Leute machten es sich auf dem Kopfsteinpflaster bequem und tranken ihr Bier. Dann verfiel der Platz in einen Dornröschenschlaf.
Mit Landbieren vom Fass hat das Bieramt den Platz wieder belebt. 2006 hat Christoph Zielke die Chance ergriffen und im unteren Häuschen neben dem Tiergärtnertor das „Café Wanderer“ eröffnet. 2011 kam nebenan das Bieramt dazu. Trotz Selbstbedienung hat das eingespielte Team meist alle Hände voll zu tun. Das Wochenbier, jeweils ein Helles und ein Dunkles vom Fass, legt Mitarbeiter Boris Braun vorab für das ganze Jahr fest.
Auf der Internetseite steht die Liste der Vorfreude: Sie beginnt mit Keesmann Herrenpils und dunklem „U“ von Mahrs-Bräu, beide aus Bamberg, listet Schanzenbräu und Sedat‘s Schlüggla auf und endet mit Rittmayer aus Hallerndorf, Elch-Bräu, Gräfenberg, und Metzgerbräu aus Bad Staffelstein-Uetzing. „Wir freuen uns, dazu beigetragen zu haben, den Tiergärtnertorplatz wieder zu einer Anlaufstelle für gute fränkische Biere gemacht zu haben“, sagt Zielke, der auch den Kulturgarten im Künstlerhaus betreibt.
Der Durstlöscher von früher entwickelt sich zu einem bewusst wahrgenommenen Getränk mit Charakter, das nachgefragt wird. Ziemlich jung ist die Bewegung der Craft-Biere, handwerklich hergestellte Biere, die zum Beispiel mit mehr Hopfen gebraut sind als klassische. „Für mich sind die fränkischen Biere Craft-Biere in Reinkultur, deswegen sage ich Gästen aus dem Ausland, hier bekommen sie ‚traditional frankonian craft-beer’“, sagt Boris Braun, Bierkenner und Autor des „Brauns Brauerei Atlas Franken“ und einer Brauereiatlas-App für ganz Deutschland. Das englische Wort für Handwerk, „craft“, hat diesen experimentellen Varianten mit besonderen Hopfennoten den Namen gegeben. Dieser neue Trend schwappt aus den USA mit ihren 3 000 Handwerksbrauereien nach Europa.
Dass es auch Craft-Biere im Landbierparadies zu kaufen gibt, ist kein Geheimnis mehr. Es hat Bierspezialitäten vom Land in die Stadt gebracht. Wegbereiter Joachim Glawe aus Pegnitz ist als junger Mann gerne zum Klettern in die Fränkische Schweiz gefahren. Weil Klettern durstig macht, hat er viele verschiedene Sorten kennen gelernt. Sie schmeckten ihm so gut, dass der Betriebswirt seine Diplomarbeit über die Geschichte, wirtschaftliche Situation und Entwicklungschancen der Kleinbrauereien in der Fränkischen Schweiz schrieb. Nach der Theorie und dem Studienabschluss folgte die Praxis: 1986 fing er mit dem Landbierparadies in einem kleinen Laden hinter dem Hauptbahnhof an.
Heute gehören der Laden in der Galgenhofstraße mit 130 Sorten Bier von 53 Brauereien und zwei Wirtshäuser in der Wodan- und Sterzinger Straße dazu. Landbiere von Krug, Hetzelsdorfer oder Meister sind dadurch so bekannt und beliebt geworden, dass sie auch in anderen Getränkemärkten zu haben sind. Die am Tag des Bieres, am 23. April 2015, eröffnete Bierothek in der Äußeren Laufer Gasse hat 180 Sorten im Angebot.
„Beim Bier sehe ich einen Imagewandel. Kunden kaufen bewusst Bier aus der Region und auch junge Erwachsene trinken es, gerne in 0,33-Liter- Fläschchen“, sagt Peter Hahn, der seit 20 Jahren im Landbierparadies arbeitet. Er schätzt den Anteil der Stammkundschaft auf 80 Prozent, die nicht nur Flaschenbier, sondern auch Gerstensaft aus dem Holzfass will. Dafür hat das Landbierparadies 600 in verschiedenen Größen angeschafft, die es an kleine Brauereien verleiht.
Werbung macht das Landbierparadies bewusst nicht und bietet auch keine Sonderangebote an. Die Mund-zu-Mund-Propaganda reicht weit über die Stadtgrenze hinaus. So kommen regelmäßig drei Busse mit Siemens-Mitarbeitern aus Italien vorbei, bunkern Bier-Proviant, um es auf der anderen Seite des Brenners zu genießen. Auch wenn der Kasten zwischen 14 und 15,50 Euro kostet: „Eigentlich sind die Biere der Kleinbrauereien günstig, wenn man sieht, wie viel Zeit, Liebe und Engagement die Brauer investieren“, sagt Hahn.
Nürnberger Brau-Tradition seit 1302
Reinheit ist beim Bier seit Jahrhunderten das oberste Gebot. Das deutsche Reinheitsgebot von 1516 lässt nur die bekannten Zutaten zu: Wasser, Malz, Hopfen, Hefe. Auch wenn es deswegen weniger Vielfalt geben mag als in anderen Ländern, wo mehr erlaubt ist, ist so ein natürliches Traditionsgetränk ohne Zusatzstoffe garantiert. In Nürnberg hat Bier eine lange Tradition und wird erstmals im Satzungsbuch des Rats 1302 erwähnt. Zum traditionellen, untergärig gebrauten und stärker gehopften Rotbier aus rotem Malz gesellt sich 1531 weniger gehopftes, obergäriges Weißbier dazu, zunächst aus Gersten-, später aus Weizenmalz gebraut. Den Nürnbergern war es ursprünglich erlaubt, ihr eigenes Bier zu brauen, solange sie Vorschriften einhielten und Verbrauchssteuern bezahlten.
Selbst brauen lässt heute noch Sedat Kudal. Nach eigenen Aussagen ist er der erste fränkische Türke, der ein Bier nach eigenem Rezept herstellen lässt.
Das übernimmt für ihn die Wagner-Brauerei in Merkendorf bei Bamberg. Zuerst war Sport seine Leidenschaft, als Elfjähriger wird er Taekwondo-Europameister. Auch Fußball begeistert ihn, aber nicht das Weizen einer Großbrauerei nach dem Spiel. Deswegen hatte er lange Zeit nicht viel am Hut mit Bier, es schmeckte ihm einfach nicht. Das änderte sich, als er systematisch fränkische Biere probierte.
Die „geschmackliche Offenbarung“ der Vielfalt begeisterte ihn so sehr, dass er sich ans Tüfteln machte. Mit seinem „Sedat‘s Schlüggla“ fing es 2009 an. Mittlerweile ist das „Erlenstegener“ in Flaschen und Fässern dazugekommen. Sieben eigene Sorten bietet er an und berät seine Kunden gerne. Wem seine Empfehlung nicht schmeckt, der bekommt sein Geld zurück.
Nachdem der Familienvater und gelernte Hotelfachwirt einen Getränkemarkt mit Bier von 100 Kleinbrauereien Am Kohlschlag in Schwaig eröffnet hat, spielt er mit einem Gedanken: „Ich will eine Brauerlehre beginnen, um fachkundiger nach meinem Geschmack zu brauen.“
Seinen Braumeister hat Stefan Stretz längst gemacht. Bei Tucher hat er das Handwerk gelernt und danach lange in Berlin gelebt. Dort hat er an der TU ein Studium als Diplom-Ingenieur für Brauereitechnologie absolviert. Zurück in Nürnberg fingen er und sein Bruder 2004 in einem Hinterhof in der Bärenschanzstraße zu brauen an. Der Name Schanzenbräu samt Logo mit einem brüllenden Bär leitet sich vom Straßennamen ab. Seit 2007 gibt es Helles und Rotbier, die mittlerweile 40 Wirtshäuser ausschenken und 40 Läden verkaufen. In der Adam-Klein-Straße kam 2008 eine Schankwirtschaft dazu.
Gebraut wird in einer kleinen Brauerei in der Nähe von Bamberg, bald aber in Nürnberg. „Im Herbst 2015 soll ein Brauhaus in der Proesler Straße mit Ausschank fertig sein, denn ein Brauer, der nicht baut, bald nicht mehr braut. Wenn wir die Produktion in eigener Hand haben, rechnet sich das auf lange Sicht, weil sich Energie- und Personalkosten reduzieren“, sagt Stefan Stretz.
Das neue Brauhaus in Nürnberg-Höfen liegt nicht weit entfernt vom Zwei-Städte-Sudhaus der Tucher Bräu an der Stadtgrenze am Europakanal. Der Ausstoß von derzeit 5 000 Hektolitern kann in der neuen Braustätte auf 10 000 bis 20 000 Hektoliter steigen. Der Neubau ist der Nachfrage geschuldet: Mit den bisherigen Braumöglichkeiten ist Schanzenbräu an die Auslastungsgrenze gestoßen. „Mit der größeren Braukapazität können wir sicherstellen, dass uns unsere Kunden nicht mehr so schnell leer trinken“, sagt Stretz.
Regionales Bier als Export-Schlager
Und das, obwohl die Deutschen laut dem Bayerischen Brauerbund etwas weniger zum Bier greifen: „Der Bierkonsum nimmt in Deutschland seit Jahren leicht ab. Die Brauereien fangen das durch einen verstärkten Export auf“, sagt Walter König, Geschäftsführer des Bayerischen Brauerbunds. Die Bundesbürger haben 2014 im Schnitt 107 Liter Bier getrunken, in Bayern waren es 135 Liter pro Kopf und Jahr. Gleichwohl betont König: „Die bayerische Brauwirtschaft hat sich 2014 deutlich besser entwickelt als der Bundestrend. Sie hat mit 23,1 Millionen Hektoliter Gesamtabsatz im vierten Jahr hintereinander einen Zuwachs erzielt.“ Vor allem regionales Bier stehe hoch im Kurs.
Auch bei Tucher geht ein Teil der Produktion in den Export, zum Beispiel nach Italien, China oder in die USA. Die Mehrheit aber wird im Inland verkauft, sowohl über den Handel als auch über die Gastronomie, hauptsächlich im Großraum Nürnberg und Nordbayern. Neben der in ganz Deutschland und ins Ausland verkauften Marke Tucher hat das Unternehmen auch ältere Marken wie das Grüner aus Fürth wiederbelebt.
Seit dem Zweiten Weltkrieg braut zudem die Brauerei Zeltner, die ihren Standort am Wöhrder See auf dem Gelände der heutigen Wohnanlage Norikus hatte, ein helles Vollbier in der Tucher Bräu. Das Bier gibt es im gleichnamigen Wirtshaus in der Hallerstraße und in anderen Gaststätten und Getränkemärkten. Weitere Kooperationen kann sich Tucher-Geschäftsführer Fred Höfler gut vorstellen: „Wir haben ein gutes kollegiales Verhältnis zu vielen kleinen Brauereien und arbeiten auch auf Augenhöhe mit einigen zusammen, zum Beispiel bei alkoholfreiem Bier.“
Noch mehr alte Marken auferstehen zu lassen, ist offen, denn das Grüner Hell, das es auch als Grünerle im 0,25-Liter-Fläschchen gibt, verkauft sich gut – sogar in Getränkemärkten in Norddeutschland.