Geschichte & Hintergrund
Erinnerungskultur im Wandel
Der erinnerungskulturelle Diskurs erfährt aktuell einen grundlegenden Wandel. Einerseits gibt es kaum noch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die über ihre Erfahrungen während der Diktatur des Nationalsozialismus berichten können. Andererseits setzt sich die Erkenntnis durch, dass es die eine Erinnerungskultur – zumal eine aus ausschließlich deutscher Perspektive – nicht geben kann, sondern die Debatten in globale Perspektiven eingerückt werden müssen. Diese Prozesse fordern zu neuen Formaten der Reflexion, insbesondere über den Umgang mit den Bauwerken des Nationalsozialismus, heraus. Das ist nicht nur im Sinne der historischen Aufklärung von hoher Relevanz, sondern stellt für die Stadt Nürnberg als Ort der nationalsozialistischen Reichsparteitage eine Verpflichtung in der Gegenwart und für das künftige Zusammenleben dar.
Die Eröffnung des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände im Jahr 2001 war der entscheidende Schritt, um in Nürnberg am historischen Ort über die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Folgen zu informieren. Erforschung, Wissensvermittlung und die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Gelände stehen seither im Zentrum der Arbeit des Dokumentationszentrums. Mit der Entwicklung von Zeppelintribüne und Zeppelinfeld zum Lern- und Begegnungsort etabliert Nürnberg ein weiteres zentrales Projekt der erinnerungskulturellen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.
Mit der Erschließung der Kongresshalle als Ort der Künste wird ein jahrelang größtenteils leerstehender Rohbau nun für den gesellschaftlichen Diskurs geöffnet. Die Zugänglichkeit des monumentalen Gebäudes und seine unmittelbare Erlebbarkeit sind wichtige Aspekte der Vermittlungsarbeit. Die geplante künstlerisch-kulturell geprägte Nutzung setzt dem totalitären System der Bauherren und ihrer Architektur das demokratisch-pluralistische Denken und Leben der Gegenwart entgegen.
Mit der Weiterentwicklung und Neuausrichtung der drei Orte wird eine zentrale Forderung der Leitlinien zum künftigen Umgang der Stadt Nürnberg mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände aus dem Jahr 2004 konkret: Die Bedeutung des Ortes als „nationales Erbe“ erfordert eine künstlerische Auseinandersetzung im internationalen Kontext.
Bauhistorie
Die Kongresshalle ist als Teil des Flächendenkmals „Volkspark Dutzendteich“ seit 1973 in der bayerischen Denkmalliste eingetragen: „Kongresshalle, jetzt sog. Ausstellungsrundbau, monumentale dreigeschossige und hufeisenförmige Anlage mit zwei rechteckigen Kopfbauten mit Innenhöfen, nach Vorbild des römischen Kolosseums, Backsteinmauerwerk mit Muschelkalk- und Granitverkleidung von Ludwig Ruff, 1937/39 (unvollendet), Umbau des nördlichen Kopfbaus zum Dokumentationszentrum, von Günther Domenig, 1998/2001.“
Die Kongresshalle sollte zentraler Teil des Bauprogramms des Nationalsozialismus in Nürnberg sein und – so die Urkunde zur Grundsteinlegung am 1. September 1935 – „auf Jahrtausende hinaus dem Parteikongreß der NSDAP eine Stätte (…) bieten“. Das von dem Nürnberger Architekten Ludwig Ruff entworfene Gebäude reiht sich ein in die Monumentalarchitekturen der NS-Zeit und dokumentiert deren Herrschaftsanspruch und das ästhetische Herkommen der nationalsozialistischen Architektur aus der Antike: Die Kongresshalle zitiert im Grundriss das römische Marcellustheater, während die Außenfassade das Kolosseum als Vorbild hat.
Mit dem „Kraft durch Freude“-Seebad in Prora auf Rügen zählt die Kongresshalle zu den größten erhaltenen Einzelbauwerken der NS-Zeit. Im Falle ihrer Fertigstellung wäre sie lediglich ein einziges Mal im Jahr während der Reichsparteitage für den „Parteikongress“ genutzt worden. Hier hätte Hitler mit programmatischen Reden die Mitglieder der NSDAP eingestimmt.
Am 11. September 1935 fand die Grundsteinlegung während des Reichsparteitages statt. Die Kongresshalle hat eine Grundfläche von 275 mal 265 Metern. Für ihre Errichtung wurden nicht nur Waldflächen am Dutzendteich gerodet, sondern auch tausende Kiesstopfsäulen in den schlammigen Untergrund getrieben, auf denen die mehrere Meter dicken Betonfundamente ruhen. Nach der Fertigstellung hätte die Kongresshalle etwa 70 Meter hoch sein sollen. Die Bauarbeiten wurden nach Kriegsbeginn 1939 stark reduziert und schließlich 1942, bis auf Sicherungsarbeiten, ganz eingestellt. Bis dahin wurde die heutige Höhe von knapp 40 Metern erreicht.
Unvollendet blieben das Innere der Halle, der heute unter freiem Himmel liegende, sogenannte Innenhof, die oberen Stockwerke des Rundbaus, der ausschließlich dienende Flächen für die Erschließung des nicht gebauten Saales enthält, sowie die gesamte Innenausstattung. Bis heute ist der Rundbau ein Rohbau aus Ziegeln und Beton, lediglich die Außenfassade aus massivem Granit zeigt die endgültige Form.
Die Bauarbeiten an der Kongresshalle wurden mit Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 zum größten Teil eingestellt; der Bau wurde nicht fertiggestellt und nie in seiner ursprünglich geplanten Form genutzt.
Umgang der Stadt Nürnberg mit ihrem historischen Erbe
Von 1933 bis 1938 hielten die Nationalsozialisten im Nürnberger Südosten jährlich im September knapp eine Woche lang ihre Reichsparteitage als Staats- und Parteifeiern ab. Die Massenveranstaltung wurde im In- und Ausland wahrgenommen. Im Mittelpunkt der Reichsparteitage stand die Darstellung der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus, die Machtdemonstration Hitlers und seines Regimes gegenüber dem Ausland und die Überwältigung des Einzelnen mittels der Masseninszenierung. Von den hierfür angedachten Propagandabauten wurden nur wenige, wie Zeppelintribüne und Zeppelinfeld, fertiggestellt; die meisten blieben unvollendet, wie auch die Kongresshalle.
Heute kommen jedes Jahr mehrere hunderttausend Menschen aus aller Welt auf das ehemalige Reichsparteitagsgelände, um die Bauten selbst in Augenschein zu nehmen oder sich im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände ausführlich zu informieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg pflegte die Stadt Nürnberg zunächst aber einen pragmatischen Umgang mit den baulichen Relikten des Nationalsozialismus. Das Zeppelinfeld wurde von der US-Armee als Sportplatz genutzt, die Zeppelintribüne für verschiedene Veranstaltungen wie Autorennen oder Gewerkschaftsversammlungen. Die Kongresshalle diente 1949 und 1950 als Ausstellungsort, danach vor allem als Lagerraum. Das Versandhaus Quelle war über Jahrzehnte bis kurz vor seiner Insolvenz der größte Mieter. Seit 1973 steht das gesamte ehemalige Reichsparteitagsgelände als Flächendenkmal unter Denkmalschutz.
Wandel im Umgang
Der Umgang mit den Bauten des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes im Besonderen änderte sich parallel zum Umgang jüngerer Generationen mit der NS-Vergangenheit im Allgemeinen. Desinteresse und Pragmatismus wichen in den Siebziger- und Achtzigerjahren dem Wunsch nach Aufklärung und aktiver Auseinandersetzung. Seit 1985 informierte die Ausstellung „Faszination und Gewalt“ in der Zeppelintribüne über den Ort und seine Geschichte. Dieser Ausstellungsort wurde 2001 durch die Eröffnung der Dauerausstellung im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände ersetzt.
Der zunehmende Verfall besonders der Zeppelintribüne und der steigende Bauunterhalt zur Bewahrung zumindest des Status quo warf grundsätzliche Fragen auf. 2004 beschloss der Nürnberger Stadtrat einstimmig Leitlinien und Leitgedanken zum künftigen Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände: Weder sollten die NS-Bauten dem bewussten Verfall preisgegeben noch fertiggebaut werden. Stattdessen sollten sie auch für künftige Generationen erhalten bleiben und eine Auseinandersetzung am historischen Original ermöglichen. Daneben spiegeln die Bauwerke nationale und internationale Geschichte wider. Die Stadt Nürnberg wandte sich daher erfolgreich, wie schon bei der Einrichtung des Dokumentationszentrums, an den Bund und den Freistaat Bayern, um gemeinsam die finanzielle Verantwortung für das historische Erbe von Zeppelinfeld und Zeppelintribüne sowie der Kongresshalle zu übernehmen.
Nutzungsgeschichte nach 1945
Im April 1945 nutzte die US-Armee die Kongresshalle zunächst als Lebensmitteldepot. 1948 erfolgte die Rückgabe an die Stadt Nürnberg. Vom 1. bis 18. September 1949 fand in der Kongresshalle die erste Deutsche Bauausstellung nach dem Krieg statt. Insgesamt 654 Aussteller aus dem In- und Ausland präsentierten Baumaschinen, -stoffe und -systeme. Vor allem ein günstiger und schneller Wohnungsbau war angesichts der Kriegszerstörungen in den Städten ein zentrales Thema. Mit der Bauausstellung wurde versucht, einen neuen Namen für die Kongresshalle zu etablieren: „Ausstellungsrundbau“. Welche Partei hier einst ihre Kongresse hätte abhalten wollen, sollte künftig verschwiegen werden.
Die Rolle Nürnbergs während der NS-Zeit als „Stadt der Reichsparteitage“, Beschlussort der Rassegesetze und Erscheinungsort der antisemitischen Hetzschrift „Der Stürmer“ wurde im Ausstellungsraum konsequent verschwiegen. Diese Sicht auf die jüngere Stadtgeschichte setzte sich 1950 fort. Das 900-jährige Jubiläum der ersten urkundlichen Nennung Nürnbergs in der Sigena-Urkunde aus dem Jahr 1050 wurde gleichfalls in der Kongresshalle mit einer großen Ausstellung gefeiert. Zwischen dem 14. und 30. Juli 1950 wurde Nürnberg vor allem als große Handels- und Kunstmetropole des Mittelalters präsentiert.
Erste kulturelle Nutzungen
1963 zog das Fränkische Landesorchester, der Vorläufer der heutigen Nürnberger Symphoniker, in den südlichen Kopfbau der Kongresshalle ein. Neben einem Konzertsaal und einem Aufnahmestudio entstand ab 1986 mit dem „Serenadenhof“ außerdem eine neue Open-Air-Spielstätte.
Die unteren Ebenen des Rundbaus der Kongresshalle bilden das Erd- und das Sockelgeschoss. Die dortigen Räume waren bis 2022 weitgehend vermietet. Die Museen der Stadt Nürnberg unterhielten hier Depots, ebenso die Stadtarchäologie. Der Servicebetrieb Öffentlicher Raum (SÖR) der Stadt Nürnberg lagerte beispielsweise Verkehrsschilder ein und der Kanuverein seine Boote. Auch Privatleute hatten Räume als Lager oder Werkstätten gemietet.
Gescheiterte Nutzungsideen
Neben den genannten Nutzungen für Teilbereiche gab es auch zwei Ansätze einer Gesamtlösung. Mitte der Fünfzigerjahre wurde überlegt, ein großes Fußballstadion in die Kongresshalle einzubauen. Die geschätzten Kosten in Höhe von 20 bis 30 Millionen D-Mark (heute wohl bis zu 95,4 Millionen Euro) ließen das Projekt letztlich scheitern. 1987 wollte eine private Investorengruppe die Kongresshalle zu einem Freizeit- und Eventcenter umbauen. Ein Seniorenzentrum wäre ebenso vorgesehen gewesen wie Kinos, Diskotheken, Tennisplätze oder Fitnessstudios. Im Stadtrat schien man zunächst nicht abgeneigt, ehe Sorgen um den innerstädtischen Einzelhandel durch die neue Konkurrenz und grundsätzliche Zweifel an der Seriosität der Finanzierung aufkamen. Letztlich scheiterte das Umbauprojekt an den Kosten. Die öffentlichen Diskussionen um diese Pläne lösten in der Stadtgesellschaft aber eine breite Debatte über den künftigen Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände aus. Hieraus resultierte ein wesentlicher Impuls für die Gründung des Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in der Kongresshalle.