Interview mit dem Nachhaltigkeitsbeauftragten der EURO 2024

Zitat vor einem Foto des Stadions

Tim Thormann war als Nachhaltigkeitsbeauftragte der EURO 2024, für die Nachhaltigkeit in und um die zehn Stadien zuständig. Die Projektgruppe zur Entwicklung des Nürnberger Stadions war rund um die EURO im fachlichen Austausch mit ihm, um aus den Erfahrungen rund um das Turnier zu lernen. Im Zuge dieses Austauschs hat Herr Thormann ein Interview für diese Homepage gegeben:

Herr Thormann, Sie waren Nachhaltigkeitsbeauftragter der EURO 2024. Wie nachhaltig war denn die Europameisterschaft?

Unser Ziel war, Impulsgeber zu sein und zu zeigen, dass Großereignisse und Nachhaltigkeit sich nicht gegenseitig ausschließen. Ich glaube das ist uns gut gelungen. Es gab Maßnahmen in den drei Handlungsfeldern Umwelt, Soziales und Governance. Bei den beiden letztgenannten Säulen geht es unter anderem darum, nachhaltige Beschaffung, Transparenz, Barrierefreiheit und Diversität zu fördern. Häufig wird Nachhaltigkeit aber vor allem im Sinne des Umweltschutzes verstanden.

Fokussieren wir uns auf den Umweltschutz. Welche Projekte und Ideen der EURO-Spielstätten haben Sie besonders beeindruckt?

Die zehn Host-Stadien hatten alle ihre eigenen infrastrukturellen Gegebenheiten. Generell kann ich sagen: Keins der Stadien hat alle anderen Stadien im Sinne der Nachhaltigkeit überstrahlt. Mit Solaranlage sind inzwischen eigentlich alle Stadien ausgestattet. Frankfurt hat sich beispielsweise besonders hervorgetan mit dem Regenwasser-Auffangsystem. Beim Abfallsystem dagegen war Leipzig am vorbildlichsten. Das Thema Digitalisierung war überall ein Thema. Der wichtigste Hebel für einen klimafreundlichen Stadionbesuch ist aber die An- und Abreise der Fans. Dabei sind die Stadien abhängig davon, wie gut der ÖPNV am jeweiligen Standort ausgebaut ist.

Sie sagen, dass die Digitalisierung wichtig war. Was bedeutet das konkret?

Wir haben die Informationen rund um die Spiele in den digitalen Raum verlagert. Es gab keine gedruckten Stadionhefte, keine Flyer etc. Auch Tickets gab es nur digital und nicht gedruckt. Es gab vor dem Turnier Bedenken bei diesem Thema, aber es gab keine größeren Probleme beim Einlass. Voraussetzung für die digitale Informationsverbreitung ist immer die Netzabdeckung oder noch besser eine stabile W-LAN Verbindung. Im Ergebnis gab es tatsächlich deutlich weniger Müll auf dem Boden in und um die Stadien. Wir haben aber gemerkt, dass wir bei Werbung und Giveaways von Dritten noch stärker hätten Einfluss nehmen können.

Gibt es noch weitere Themen, die Sie im Nachhinein gerne anders angegangen wären?

Nein, andere Themen nicht zwingend. Ich glaube es wurde im Rahmen des Machbaren an sehr vielen Stellschrauben gedreht. Aber wir haben festgestellt, es gibt Bereiche, in denen wir an die Grenzen des technisch machbaren stoßen und noch bessere Lösungen gefunden werden müssen. Zum Beispiel müssen alle Stadien für den Fall gewappnet sein, dass während des Spiels der Strom ausfällt. Dafür gibt es heute in den meisten Stadien Notstromaggregate die mit Diesel laufen. Das ist nicht optimal, aber eine andere Lösung mit Erfüllung der technischen Voraussetzungen gibt es aktuell nicht.

Was war bei der EURO besonders bemerkenswert im Vergleich zu Bundesliga-Spielen?

Die Akzeptanz der digitalen Tickets war schon überraschend groß. Auch andere vermeintliche Tabus wurden gut angenommen. Zum Beispiel war es aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt, mit dem Auto nah an die Stadien zu fahren. Das hat dazu geführt, dass die VIP-Stellplätze in Tiefgaragen unter Stadien leer blieben. Zudem wurden auch die öffentlichen Parkmöglichkeiten stark eingeschränkt um die Besuchenden zur Anreise mit dem ÖPNV zu bewegen. Was bei Ligaspielen zu einem großen Aufschrei führen würde, hat bei der EURO aber gut funktioniert. Natürlich handelt es sich bei den EURO-Gästen um ein anderes Publikum als bei Bundesligaspielen, aber ein Stück weit dürfte es auch ein Zeichen gewesen sein, dass sich bei den Stadion-Besuchenden etwas wandelt.

Was kann ein Stadion-Standort wie Nürnberg aus der EURO lernen?

Für die EURO wurde kein Stadion komplett neu gebaut, sondern „nur“ Bestandsstadien ertüchtigt und nachgerüstet. Was hier umgesetzt wurde, kann also auch an anderen Orten funktionieren. Beispiele solcher Maßnahmen sind Regenwasser auffangen, Abfall vermeiden, Energie sparen, Solaranlage auf dem Dach oder Mülltrennung. Manches kann man nachrüsten, aber prinzipiell ist es von Vorteil, wenn man das Thema Nachhaltigkeit in allen Aspekten bei einem Neubau oder großem Umbau von vornherein mitdenkt. Zum Beispiel sollte eine ausreichende Anzahl an barrierefreien Plätzen zur Verfügung stehen, die oft nachträglich schwieriger zu errichten sind als beispielsweise eine Solaranlage auf dem Dach.

Das aktuelle Stadion

Das Max-Morlock-Stadion ist mit dem EMAS-Umweltzertifikat zertifiziert.
Es hat u.A. eine Solaranlage auf dem Dach und eine große Regenwasser-Zisterne unter dem Rasen.

Mehr zur Nachhaltigkeit des Stadions finden Sie in der Umwelterklärung des Stadions:

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