Mit mehr Grün zur Kulturhauptstadt

Von Kastanien und einem alten Kirschbaum: Der Meriangarten gehört zu den Lieblingsplätzen von Julia Lehner

Ob die heutigen Stadtkinder jemals eine dieser goldbraunen, handschmeichelnden und vermeintlich Glück und Gesundheit bringenden Früchte des Kastanienbaumes in der Hand gehalten haben, bleibt die Frage. Julia Lehner erinnert sich: „In meiner Kindheit und Jugendzeit spielte sich das Leben meist außerhalb der eigenen vier Wände ab.“ Und ergänzt: „Da kommt mir der Kastanienbaum vor meinem Elternhaus in den Sinn. Im Herbst haben wir Kinder uns darunter versammelt und versucht, mit Stangen und Steinwürfen die reifen Früchte vom Baum zu schütteln. Die Kastanien waren unter uns Nachbarskindern immer heiß umkämpft. Ich erinnere mich gerne daran, an die kühlen Morgenstunden im Frühherbst, wie wir die Kastanien vom Boden aufhoben und einsammelten. Diese Eigenart habe ich mir erhalten, noch immer sammele ich im Herbst Kastanien und trage Sie in meinen Mantel- oder Jackentaschen mit mir."

Heute ist einer der Lieblingsplätze von Lehner der Merian-Garten auf der Burg. Die begrenzten Öffnungszeiten dieses kleinen Gartens, der an die weltberühmte Naturforscherin Maria Sybilla Merian erinnert, machen diesen Ort fast zu einem Geheimtipp. Ein alter Kirschbaum und ein Birnbaum spenden Schatten und „der Blick auf die Stadt ist einzigartig“, schwärmt sie. Lehner fühlt sich mit diesem Ort und der Namensgeberin sehr verbunden. Denn: „Maria Sibylla Merian war eine, auch streitbare, Pionierin. Als Unternehmerin, als Naturwissenschaftlerin, als Künstlerin, als Abenteurerin

sowie als Frau ihrer Zeit hat sie Maßstäbe gesetzt.“ Sie lebte von 1670 an fast 14 Jahre in Nürnberg, ehe sie durch einen Aufenthalt in Surinam und anschließende Veröffentlichungen zu Weltruhm gelangte. Diese besondere Biografie besitzt auch heute noch hohe Aktualität. Merians Wohnhaus lag nicht weit entfernt von der Burg, in der heutigen Bergstraße, weiß die Kulturreferentin. „In den heute nach ihr benannten Garten kam sie, um Naturstudien zu betreiben und in wunderbar kolorierte Zeichnungen umzusetzen. In ihrem Sinne ist der Garten auch heute gestaltet.“

Die promovierte Kunsthistorikerin, 1954 in Nürnberg geboren, ist seit 2002 Kulturreferentin der Stadt Nürnberg. Für sie ist „Kulturpolitik auch immer Bildungspolitik und damit stets Sozialpolitik“. Von den städtischen Museen über soziokulturelle Einrichtungen bis zu Veranstaltungen wie das Bardentreffen: In diesem Spektrum bewegen sich auch die Themen mit denen sich Nürnberg für das Jahr 2025 als Kulturhauptstadt Europas bewirbt. Möglichst weite Kreise der Bevölkerung sollen in diesen Bewerbungsprozess eingebunden werden. In mehreren Befragungsaktionen konnten die Bürger Ideen und Wünsche einbringen. Überraschenderweise – in diesem Kontext – haben sich viele Bürger mehr Grün und Bäume für Nürnberg gewünscht.

Dazu Lehner: „Wir konnten im Rahmen der Befragung tatsächlich ein hohes Interesse an der zukünftigen ökologischen Gestaltung der Stadt feststellen. Dieser Aspekt spielt eine sehr große Rolle bei unseren Überlegungen und der Arbeit am Erfolg der Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas 2025.“ Einzelheiten mag sie momentan noch nicht preisgeben. Immerhin so viel: „Nürnberg soll sicher nicht erst 2025 noch lebenswerter werden.“

Ganz nahe am Puls der Zeit sieht sie, dass „die überwältigende Beteiligung der Bevölkerung in Bayern am sogenannten „Bienen-Volksbegehren‘ oder die breite Diskussion um die ,Fridays for Future‘ deutlich machen, dass in Fragen nach unser aller Umgang mit natürlichen Ressourcen - und das schließt die Frage nach mehr Grün und Bäumen ein, ein übergreifender gesellschaftlicher Konsens besteht.“ Das lässt hoffen, denn Lehner ist bewusst, dass „in bestimmten Stadtteilen relativ wenig Grün im öffentlichen Raum“ vorhanden ist – wie zum Beispiel in Gostenhof und Muggenhof. Sie betont: „Ein Mehr an Bäumen ist immer mit einer Verbesserung der Lebensqualität verbunden!“

Auf unsere Standardfrage „Sind Sie schon einmal auf einen Baum geklettert?“ antwortet Lehner - mutmaßlich mit Blick auf ihre Position als Kulturreferentin: „Klettern musste ich in letzter Zeit nicht allzu oft.“ Und sie verbindet diese Aussage mit einem sehr spannenden Literaturhinweis: Italo Calvinos „Baron auf den Bäumen“. Lehner: „Ein besonderes Buch, ein Märchen, nicht nur für Baumfreunde und junge Menschen!“

Italo Calvino, geboren 1923, war einer der bedeutendsten italienischen Schriftsteller der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Vater, ein anerkannter Agrarwissenschaftler, leitete eine Forschungsstation für Blumenzucht. Die Mutter, Botanikerin, arbeitete an der Universität Pavia. Das Milieu seines Elternhauses war vom Geist der naturwissenschaftlichen, biologisch-ökologischen Forschung und Praxis geprägt. Parallelen zum Leben und Wirken von Maria Sibylla Merian – rund 350 Jahre vor dieser Zeit - drängen sich auf. Der Roman „Der Baron auf den Bäumen“, erschienen 1957, spielt in Ligurien, 50 Jahre nach dem Tod von Merian. Am 15.Juni 1767 verlässt der damals zwölfjährige Baron Cosimo Piovasco di Rondo nach einem heftigen Streit die Mittagstafel seiner adeligen Familie und besteigt die Steineichen auf dem Anwesen der Familie – um diese die nächsten 50 Jahre bis zu seinem Tod nicht mehr zu verlassen. Den Kontakt zum Boden verliert der Baron dabei nicht, denn er beschäftigt sich intensiv mit philosophischen und politischen Themen und korrespondiert mit den bedeutendsten Repräsentanten seiner Zeit. Julia Lehner sei für diesen spannenden Buchtipp gedankt!

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