In seiner zwölften Sitzung nahm der Nürnberger Bildungsbeirat am 6. Mai 2015 die aktuellen Rahmenbedingungen für den Übergang von der Schule in die Ausbildung in den Blick und diskutierte, welcher Handlungsbedarf zur Nachwuchs- und Fachkräftesicherung in Nürnberg und der Region besteht.
Zwölfte Sitzung zum Übergang Schule-Ausbildung
Nach einer regionalökonomischen Analyse von Prof. Lutz Bellmann vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ging Wirtschaftsreferent Michael Fraas auf die spezifische Situation in der Stadt ein. Rico Winkels, Ausbildungsleitung DATEV eG, und Ruth Zeitler, Ausbildungsleitung Der Beck GmbH, vertraten die Perspektive der örtlichen Wirtschaft. Bürgermeister Klemens Gsell stellte die Herausforderungen aus Sicht des Berufsbildungssystems und der Beruflichen Schulen dar.
Im Mittelpunkt der zweistündigen Sitzung stand die Frage, wie die regionale Wirtschaft bei der Deckung ihres Fachkräftebedarfs unterstützt werden kann. Prof. Lutz Bellmann vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) startete den Fachaustausch mit einer regionalökonomischen Analyse des Großraums Nürnberg. Er zeigte auf Grundlage des IAB-Betriebspanels, dass die Nichtbesetzungsquote von Fachkräftestellen in der Europäischen Metropolregion Nürnberg höher ist als im Durchschnitt Bayerns, Westdeutschlands oder Deutschlands insgesamt, was auf größere Herausforderungen bei der Deckung des Fachkräftebedarfs hinweise. Obwohl überdurchschnittlich viele Betriebe ausbildungsberechtigt seien, gebe es weniger ausbildungsaktive Betriebe als in den Vergleichsregionen. Auch die Aktivitäten in der betrieblichen Weiterbildung sind in der Metropolregion Nürnberg geringer. Die Intensivierung der betrieblichen Aus- und Weiterbildung sieht Bellmann deswegen als Schlüssel zur Fachkräftesicherung.
Im Anschluss ging Wirtschaftsreferent Michael Fraas auf die spezifische Situation in der Stadt ein. Vom Produktionsstandort habe sich Nürnberg zu einer Stadt entwickelt, in der ein gesunder Branchenmix und ein starker Mittelstand vorherrschten. Die Region sei heute Industrie- und Dienstleistungsstandort, der sowohl von global players als auch durch ein starkes Handwerk und eine Reihe an hidden champions geprägt ist. Der Wandel zeige sich derzeit insbesondere an einer schnell voranschreitenden Digitalisierung aller Branchen und Unternehmen, die immer höhere Ansprüche an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stelle. Eine wichtige Rolle zur Fachkräftegewinnung und -bindung spiele neben Aus- und Weiterbildung die Arbeitgeberattraktivität. Fraas verwies in diesem Zusammenhang auf städtische Aktivitäten zur Förderung von Willkommenskultur und gemeinsame Initiativen für eine familienfreundliche Personalpolitik sowie die neu gegründete AzubiAkademie Nürnberg.
Für die örtliche Wirtschaft sprachen stellvertretend Rico Winkels, Ausbildungsleiter der DATEV eG, und Ruth Zeitler, Ausbildungsleiterin von Der Beck GmbH. Beide berichteten von Veränderungen im Ausbildungsgeschehen in den letzten Jahren.
Die DATEV stellt Auszubildende grundsätzlich anhand von Ausbildungsbedarfserhebungen in den einzelnen Fachabteilungen und von Demographieprognosen ein. Winkels stellte einen Trend zur Akademisierung fest; auch strebten viele Auszubildenden bereits von Beginn der Ausbildung an nach höheren formalen Bildungsqualifikationen. Auch wenn die DATEV noch keinen Bewerbermangel zu beklagen habe, berichteten viele seiner Kollegen aus anderen Unternehmen von einem Rückgang der Bewerberzahlen. Um für Abiturienten weiterhin attraktiv zu bleiben, führen Firmen auch verstärkt neue Ausbildungsangebote ein, wie zum Beispiel das duale Studium.
Zeitler berichtete über dramatische Entwicklungen im Lebensmittelhandwerk. Neben einem erheblichen Rückgang der Bewerberzahlen sei bei vielen Auszubildenden ein erfolgreicher Abschluss gefährdet, da sie nicht die nötigen Fertigkeiten und Kompetenzen mitbrächten. Das Unternehmen regiere auf diese Entwicklungen mit Verstärkung des bereits gut ausgebauten betriebsinternen Unterrichts und mit Schulungen für Quereinsteiger.
Zeitler wünscht sich eine Stärkung des Images der Mittelschulen, mehr fächerübergreifenden Unterricht bereits ab der 5. Klasse und eine verstärkte schulische Vermittlung von Werten. Winkels setzt vor allem auf Dialog und Austausch von Politik, Schule und Wirtschaft und plädiert für eine konsequente Umsetzung von Lehrplänen, vor allem im IT-Bereich. Außerdem sei eine noch stärkere Einbindung insbesondere von weiterführenden Schulen in den Berufsorientierungsprozess wünschenswert.
Die Perspektive des Berufsbildungssystems und der Beruflichen Schulen erläuterte Bürgermeister Klemens Gsell, Geschäftsbereich Schule. Er stellte drei Megatrends im Schulwesen fest. Erstens stiegen die Schülerzahlen an Realschulen und Gymnasien an. Zweitens sei eine signifikant hohe Zahl an Jugendlichen nach wie vor auf Maßnahmen des Übergangsmanagements, wie zum Beispiel SCHLAU, angewiesen, um in Ausbildung einzumünden. Drittens steigen die Zahlen der Jugendlichen an, die sich in Übergangs- und Sprachintegrationsklassen für zugewanderte Jugendliche und Flüchtlinge befinden. Bei dieser Gruppe sieht Gsell hohes Potential, qualifizierte Kräfte für eine Ausbildung zu gewinnen. Gsell berichtet, dass fernab lautstarker öffentlicher Diskussionen (wie sie in letzter Zeit insbesondere bei Veränderungen an den Gymnasien zu beobachten waren) im Berufsschulwesen viele Strukturreformen und Verbesserungen durchgeführt werden konnten. So wurde das Qualitätsmanagement an Nürnberger Schulen (NQS) erfolgreich implementiert und Verbundmodelle – aktuell zwischen Wirtschaftsschule und Berufsschule – eingeführt. Für wichtig erachtet er die Schulung von Lehrerinnen und Lehrern in der Sekundarstufe, damit diese ausreichend über die Möglichkeiten im dualen System informiert sind.
In der Diskussion über Handlungsbedarfe in Nürnberg forderte Wolfgang Uhl, Geschäftsführer der Handwerkskammer für Mittelfranken, mehr Berufsorientierung an Realschulen und Gymnasien, insbesondere praktische Erprobungen in Werkstätten, um Jugendlichen ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten (frühzeitig) erfahrbar zu machen.
Joachim Leisgang, Ministerialbeauftragter für die Gymnasien in Mittelfranken, stellte die derzeitigen Instrumente der Berufsorientierung an Gymnasien vor. Neben Informationen im Fach Wirtschaft und Recht in der 9. Klasse geben zwei Schülerpraktika in der 9. und 10. Klasse und das P-Seminar in Q11/12 den Jugendlichen Einblicke in das Berufsleben. Leisgang wies darauf hin, dass drei Jahre nach dem Abitur 80 Prozent der Absolventinnen und Absolventen ein Studium aufgenommen haben und somit ein Großteil nicht in eine Berufsausbildung gehe.
Sebastian Henn, Vertreter von DGB und Kreisjugendring warnte davor, die Berufsorientierung an Schulen übermäßig zu betonen. Persönlichkeitsbildung sei für Jugendliche vorrangig zu sehen.
Zum Ausbau der dualen Studienmöglichkeiten in Nürnberg und Umgebung legte Udo Göttemann von der IHK Nürnberg für Mittelfranken dar, dass es in der Region mit 1200 Plätzen ausreichend Verbundstudiengänge gebe. Er gab gleichzeitig zu bedenken, dass die duale Hochschule nur für besonders starke und belastbare Jugendliche der richtige Weg sei, da sie durch ihre Praxiseinsätze in den Semesterferien entsprechend wenig Freizeit hätten. Zudem klagten die Firmen, dass die Studierenden nach der Ausbildung häufig die Unternehmen verlassen, wenn ihnen keine adäquate Stelle angeboten werden kann.
Elke Leo, Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, forderte, das Hauptaugenmerk auf die von Ruth Zeitler beschriebenen Probleme zu legen, die nicht nur im Lebensmittelhandwerk sondern auch in anderen Branchen auftreten. Um Fachkräfte zu sichern und Jugendliche in ihrer Bildungsbiographie zu unterstützen, müssten gemeinsam mit Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern Lösungen erörtert werden. Sozialreferent Reiner Prölß warf ein, dass viele Unternehmen Jugendliche mit „Abbrecherbiographien“ kritisch betrachteten und fragte, ob diese überhaupt Chance bekämen. Rico Winkels, DATEV, betonte für sein Unternehmen, dass es wichtig sei, gerade mit diesen Jugendlichen ins Gespräch zu gehen. Bei genauer Beschäftigung mit einer Bewerberin oder einem Bewerber ließen sich vorhandene Brüche in der Biographie häufig erklären. In Zeiten des demographischen Wandels könnten Unternehmen nicht mehr nur auf Eliteauswahl setzen, sondern müssten zwangsläufig allen Bewerberinnen und Bewerbern eine Chance geben. Zeitler wies darauf hin, dass bei ihrem Unternehmen viele Ausbildungsinteressierte bereits älter seien und unterschiedliche Wege probiert hätten, bevor sie sich für eine Ausbildung entschieden. Dies mindere ihre Chancen nicht.
Bürgermeister Gsell betonte abschließend, wie wichtig die Unterstützung der Jugendlichen am Übergang von der Schule in die Arbeitswelt durch städtische Programme wie SCHLAU oder Quapo ist. Sinnvoll sei es, dem Bedarf entsprechende Angebote auch für Jugendliche aus weiterführenden Schulen bereitzustellen. Er nehme zudem als ein wichtiges Ergebnis aus der Sitzung mit, dass die Kooperationen zwischen Berufsbildung und Hochschule weiterhin ausgebaut werden müssen, um die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung zu verbessern.