27. Sitzung des Bildungsbeirates
Am 12. März 2024 lud Oberbürgermeister Marcus König Prof. Dr. Doris Lewalter von der TU München in die 27. Sitzung des Bildungsbeirats in die Stadtbibliothek ein, um gemeinsam mit den Beiratsmitgliedern Ergebnisse der PISA-Studie und Empfehlungen für die kommunale Bildungsarbeit zu diskutieren.
Zu Beginn der Beiratssitzung rekapitulierte Marcus König die Kernanliegen kommunaler Bildungspolitik: gute Bildung für alle in der Stadt ermöglichen, Bildungsteilhabe und Bildungsgerechtigkeit verwirklichen und die Maßgabe, dass niemand verloren gehen dürfe. Letzteres stellten die Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie, die er in Kürze zusammenfasste, deutlich in Frage.
Kompetenzrückgang bei Schülerinnen und Schülern
Im Anschluss stellte Prof. Dr. Doris Lewalter zentrale Ergebnisse der internationalen PISA-Studie 2022 für Deutschland im OECD-Ländervergleich vor. Die Kompetenzen der 15-Jährigen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften hätten gegenüber 2018 deutlich abgenommen. Schülerinnen und Schüler in Deutschland lägen in Mathematik und Lesen im OECD-Schnitt und nicht mehr darüber, was nur mehr auf Naturwissenschaften zuträfe. Die Gruppen der leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler seien in allen drei Bereichen deutlich gewachsen und diese damit nicht ausreichend auf eine erfolgreiche Teilhabe in der modernen Gesellschaft und den Berufseinstieg vorbereitet. In ihren Empfehlungen verwies Prof. Dr. Doris Lewalter auf eine bedarfsorientierte Ressourcenzuwendung und nannte als Beispiel das Startchancenprogramm des Bundes. Sie empfahl eine Sprachbildung während der gesamten Schullaufbahn. Digitale Medien und Methoden könnten nach Bedarf helfen, auch differenziert zu unterstützen.
Einordnung der Befunde seitens der Bildungspraxis durch Lehrkräfte
Im zweiten Teil der Sitzung ordneten Lehrkräfte von Nürnberger Grund- und Mittelschulen ausgehend von ihren Erfahrungen die PISA-Ergebnisse ein. Sigrun Hippelein von der Kopernikusschule nahm dabei die Perspektive der Grundschulen ein. Sie wies auf die immense Wichtigkeit des Vorkurses Deutsch 240 hin, der aufgrund des Lehrkräftemangels nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden konnte und bestätigte die hohe Leistungsbereitschaft von bereits gut integrierten Schulkindern aus der 2. Zuwanderungsgeneration. Georg Hofmann von der Georg-Ledebour-Schule nahm die Perspektive der Mittelschulen ein und schilderte große Schwierigkeiten beim digitalen Unterricht während der Pandemie, was das Kontakthalten zwischen Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern teils gefährdete. Flavio Gambato, stellvertretender Vorsitzender des Integrationsrates und Lehrer an der Mittelschule Insel Schütt, richtete zudem den Blick auf Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte und beschrieb eindrücklich die Auswirkungen von früh erfahrenen Rückschlägen z.B. aufgrund sprachlicher Defizite.
Austausch über Verbesserungsvorschläge und Unterstützungsangebote
Moderiert von Oberbürgermeister Marcus König diskutierten die Beiratsmitglieder die dargestellten Studienergebnisse und kamen in einen offenen Austausch über Verbesserungsvorschläge und Unterstützungsangebote. Thematisiert wurde u.a. die Bedeutung der frühzeitigen Diagnostik zur Einstufung individueller Förderbedarfe von Kindern und der Bedarf einer systematischen, bedarfsorientierten und diagnosebasierten Förderung der Kinder bereits vor der Grundschule und über diese hinaus. Ressourcen in der schulischen Bildung sollen nach Bedarf und gezielt eingesetzt werden, der Unterricht kontinuierlich weiterentwickelt und die Lehrkräftefortbildung weiter gestärkt werden. Die Beiratsmitglieder stimmten darin überein, dass eine Verbesserung der Situation einer bildungsbereichsübergreifenden Herangehensweise bedarf, die sowohl die Lebenslage der Schülerinnen und Schüler einbezieht als auch den Sozialraumbezug herstellt
Elisabeth Ries, Referentin für Jugend, Familie und Soziales, und Cornelia Trinkl, Referentin für Schule und Sport, stellten Ansätze vor, bei denen dies in Nürnberg bereits umgesetzt werde, beispielsweise in der frühkindlichen Sprachförderung oder beim Strategieprozess Schule Vision 2040. Mit einem herzlichen Dank an Prof. Dr. Doris Lewalter für ihren erkenntnis- und gewinnbringenden Vortrag und an alle Beiratsmitglieder für ihre kritisch-konstruktiven Beiträge und die gute Zusammenarbeit schloss Oberbürgermeister Marcus König die Sitzung.
28. Sitzung des Bildungsbeirates
„Wie können wir mit inklusiver und flexibler beruflicher Bildung erreichen, dass niemand verloren geht – auch und gerade auf dem Weg in den Beruf?“ Mit dieser Frage eröffnete Oberbürgermeister Marcus König die 28. Sitzung des Nürnberger Bildungsbeirats am 1.10.2024 zum Thema „Deutsch lernen in Beruf und Alltag“ im Feuerbach-Saal der IHK Nürnberg für Mittelfranken.
Sprachbildung und Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten
Philipp Jaschke vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) stellte kompakt die Zusammenhänge von Sprachbildung und Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten dar, wie sie aus Daten-Analysen des IAB valide abgleitet werden können. Er sieht vor allem in der Zeitdauer bis zum Beginn des ersten Sprachkurses (Integrationskurs) deutlichen Verbesserungsbedarf und weist auf das hohe Potenzial von geflüchteten Frauen hin, das durch passende Angebote zur Kinderbetreuung während der Deutschsprachangebote besser gehoben werden könnte. Insbesondere diese Zielgruppe hätte auch kaum Möglichkeiten die Sprache parallel zu einer Erwerbstätigkeit zu lernen.
Angebote zur Verknüpfung sprachlichen Lernens und beruflicher Entwicklung
Mit Blick auf die Bedarfe der Zielgruppen, die im Raum durch fünf typisierte Darstellungen, sogenannte Personas, vertreten waren, erläuterten die Referentin für Schule und Sport Cornelia Trinkl sowie die Referentin für Jugend, Familie und Soziales, Elisabeth Ries die in der Stadt bestehenden Angebote zur Verknüpfung sprachlichen Lernens und beruflicher Entwicklung.
Schul- und Sportreferentin Cornelia Trinkl konzentrierte sich auf die Angebote der beruflichen Schulen, an denen die jungen zugewanderten Menschen insbesondere in den Berufsintegrationsklassen, aber auch in den Fachklassen lernen. Für die notwendige Diagnostik der Eingangsschülerinnen und -schüler der Berufs- und Berufsfachschulen wurde der „Nürnberger Berufliche Schulen DeutschTest (NBD-T)” entwickelt, dessen Auswertung die Erstellung individueller Förderpläne ermögliche. Auch das „Deutsche Sprachdiplom I PRO“ für die Schülerinnen und Schüler der Berufsintegrationsvorklassen an der Beruflichen Schule 5 beginne mit einer Testung und wiederholt diese während des Schuljahres, was den flexiblen Wechsel in Klassen mit dem entsprechend passenden Sprachniveau ermögliche. Neben der Sprachstandsdiagnose sei die additive und integrierte Sprachförderung Konzept in den Fachklassen (z.B. der Beruflichen Schule 8), um Überforderungssituationen bei den Auszubildenden abzumildern und frühen Ausbildungsabbrüchen entgegenzuwirken.
Die Referentin für Jugend, Familie und Soziales, Elisabeth Ries benannte im Anschluss daran Angebote für Menschen, die noch nicht in einer Institution angekommen sind. Ein wichtiger Knotenpunkt im Netz sei hier vor allem die kommunale Zentrale Anlaufstelle Migration, die mit der ZAM-Beratung (Zam-Be) niedrigschwellige Sprach- und Verweisberatungen zu allen Fragen der Migration für die unterschiedlichen Zielgruppen anbietet. Die ZAM, in der auch die Zentrale IQ Beratungsstelle zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen (ZAQ+) integriert ist, arbeitet als Kooperationsprojekt der Stadt Nürnberg mit fünf Trägern der freien Wohlfahrtspflege eng mit der Test- und Meldestelle (TuM) des BAMF zusammen. Ries zeigte sich dankbar für die bestehende Zustimmung des Stadtrats zum kommunalen Programm Deutschspracherwerb (KPDe), das seit 2020 die Angebote im Bereich der Deutschsprachförderung in Nürnberg koordiniert. Auch wenn sich durch die systematische Beratung gezeigt hat, dass viele Personen einen Anspruch haben, gäbe es v.a. aufgrund der sich ständig ändernden Rechtslage bis heute Lücken im System, so dass nicht alle Zugewanderten Zugang zu Sprachkursen haben und auf die kommunale Unterstützung angewiesen sind.
Integrationsangebote im Bereich Aus- und Weiterbildung
Stefan Kastner, Leiter Berufsbildung der IHK, verwies in seinem Beitrag darauf, dass im aktuellen Ausbildungsjahr 23 % der neuen Auszubildenden in Mittelfranken eine nichtdeutsche Staatsangehörigkeit besäßen und mangelnde Deutschsprachkenntnisse sich in der Ausbildung oft als große Hürde erweisen. Er ergänzte das Portfolio um die Integrations-Angebote der IHK: So stehe für eine erste Einschätzung der sogenannte „Kompetenzcheck“ für Schülerinnen und Schüler auch in einfacher Sprache und in anderen Sprachen zur Verfügung. Um umfangreich zur dualen Ausbildung aufzuklären, suche die IHK-Integrationsberaterin die Zielgruppe auch in den Gemeinschaftsunterkünften auf. Als neues Angebot soll die „2+1-Ausbildung“, d.h. eine aufgrund von intensiver Sprachförderung in der Berufsschule um ein Jahr verlängerte Ausbildung im Bereich „Handel“, ausprobiert werden.
In der Diskussion zeigten die Bildungsbeiratsmitglieder vorhandene Lücken auf (z.B. hinsichtlich niedrigschwelliger Sprachlernangebote für Mütter oder inklusiver Sprachkurse für Menschen mit Beeinträchtigungen) und lieferten gute Ideen für weitere sinnvolle Lernangebote in der Stadt.