Gruppe "Caesar"
Menschenrechtspreisträger 2017
Gruppe "Caesar" für ihrem Mut, die systematische Folter und Massenmorde in Syrien an die Weltöffentlichkeit zu bringen.
Auftakt im weltweit ersten Strafprozess zur Folter in Syrien
Am 23. April beginnt vor dem Oberlandesgericht Koblenz der erste Strafprozess zur Folter in Syrien gegen Anwar Raslan, ehemaliger Funktionär des Allgemeinen Geheimdienstdirektorats von Präsident Assad. Er steht im Verdacht, zwischen April 2011 und September 2012 als Mittäter für die Folter von mindestens 4.000 Menschen, die Tötung von 58 Menschen und sexuellen Gewalt in der Haftanstalt der sogenannten Al-Khatib-Abteilung in Damaskus verantwortlich zu sein. (Quelle: ECCHR). Das ECCHR unterstützt in diesem Verfahren 16 Frauen und Männer aus Syrien.
Wichtige Beweismittel für die Gräueltaten in Syrien sind weiterhin die 53.000 Bilddateien von „Caesar“, Träger des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises 2017.
Internationaler Haftbefehl erlassen
Auf Antrag der Generalbundesanwaltschaft hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs nun Haftbefehl gegen den Chef des syrischen Luftwaffengeheimdiensts erlassen. "Caesar's" Fotos dienten der Beweisfindung.
Im September 2018 trafen sich "Caesar", Vertreter des European Centers for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und der Generalbundesanwaltschaft während seines geheimen Aufenthalts in Nürnberg.
ECCHR spricht von einem Meilenstein im Kampf gegen die Straflosigkeit.
Wir wissen wenig über den namenlosen Helden, der uns nur unter dem Decknamen „Caesar“ bekannt ist und der seit seiner Flucht aus Syrien versteckt in Europa lebt. Seine Anonymität dient seinem Schutz und dem seiner Familie. Die Geschichte hingegen, die sich hinter der mutigen Tat verbirgt, für die ihn die Stadt Nürnberg ausgezeichnet hat, lässt sich dank der biographischen Aufzeichnungen der französischen Journalistin Garance Le Caisne, den Berichten seiner Mitstreiter und Unterstützer wie dem Völkerstrafrechtler Stephen Rapp und einer persönlichen Begegnung rekonstruieren.
Im Frühjahr 2011 erschüttern Revolutionen die arabische Welt. Auch in Syrien gehen Männer, Frauen, Kinder auf die Straße - friedfertig - und sie fordern Reformen. Die Sicherheitskräfte schießen in die Menschenmenge. In dem Versuch, die Bewegung zu brechen, nehmen die Geheimdienste unzählige willkürliche Verhaftungen vor. Zu dieser Zeit sind zwölf Fotografen bei der Militärpolizei in Damaskus beschäftigt. Einer davon ist „Caesar“.
„Caesar“ selbst ist damals im Hauptquartier der Militärpolizei im Norden von Damaskus stationiert. Als Militärfotografen schickt man ihn und seine Kollegen, um Aufnahmen der Demonstrierenden zu machen, die mit Schusswaffen getötet wurden. Für das Regime sind sie Terroristen. Anschließend werden die Fotografen beauftragt, die Leichen der Gefangenen zu dokumentieren, die während ihrer Haft verstorben waren. Gestorben unter der Folter, an Hunger oder Krankheiten. Die gemarterten Körper sind nackt, sie tragen lediglich Nummern direkt auf der Haut. „Caesar“ wird schnell klar, dies sind keine Terroristen, sondern einfache Zivilisten.
Er erträgt es kaum, diese Aufnahmen zu machen, sie auszudrucken und aufzukleben auf Karteikarten, die mit dem Briefkopf der Militärpolizei der Arabischen Republik Syrien und dem Stempel des Oberbefehlshabers der Armee versehen sind. Eine makabre Dokumentation, die den Vorgesetzten beweisen soll, dass die „Arbeit“ richtig ausgeführt wurde. Gleichzeitig dient sie als Totenschein für die Familien, der ihnen bestätigt, dass ihr Angehöriger an einem „Herzstillstand“ verstorben sei. „Nie zuvor hatte ich so etwas gesehen. Vor dem Aufstand folterte das Regime Gefangene, um Informationen aus ihnen herauszuholen. Jetzt foltert es, um zu töten.“ (nach Garance Le Caisne, „Codename Caesar. Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie“)
Folter wurde in Syrien bereits vor der Revolution angewandt, zu Zeiten von Hafiz al-Assad, dem Vater von Baschar. Davon berichteten jene, die das Gefängnis verlassen konnten. Das Regime ließ diese Erzählungen zur Abschreckung und um den Terror in die Köpfe zu streuen, verbreiten. Dieses Mal ist es der Staat selbst, der für die Dokumentation des Terrors sorgt. Die Aufnahmen sind offizielle Dokumente, unwiderlegbare Beweise der Barbarei. Und sie kommen unverhofft für die Aktivisten, die Beweise für die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung sammeln. „Sami“, ein Freund „Caesars“ gehört zum Widerstand. Als er den Charakter von „Caesars“ Arbeit versteht, überredet er ihn, der bereits mit dem Gedanken an Desertion spielt, an seinem Arbeitsplatz zu bleiben und heimlich tausende der Fotos zu kopieren. „Caesar“ stimmt zu. Zwischen 2011 und 2013 sichert er mehr als 50.000 Fotos heimlich auf USB-Sticks und schmuggelt sie im Gürtel oder Schuhabsatz aus seinem Büro. Er wird gequält von Schuldgefühlen, weil er sich wider Willen an den Massakern des Regimes beteiligt; er hält es nervlich manchmal kaum noch aus. Mehrmals will er aufhören, mehrmals überredet „Sami“ ihn, weiter durchzuhalten. Er ist der einzige, der diese Beweise aus dem Innern des Regimes zusammentragen kann.
Im Ausland versucht die Opposition, die syrische Nationalbewegung, die Verbrechen des Regimes öffentlich zu machen. Als „Caesar“ dann im Sommer 2013 außer Landes gebracht wird, erhält die Nationalbewegung die gestohlenen Fotos und wendet sich damit an die Regierungsbüros und diplomatischen Vertretungen in Paris, Genf, Washington. Die „Akte Caesar“ schockiert.
„Nie hätte ich gedacht, dass ich meine Heimat würde verlassen müssen. Vor der Revolution führten wir ein einfaches, bescheidenes Leben, von Tag zu Tag, ohne großen Ehrgeiz. Wir hatten nie die schönen Landschaften Syriens gesehen, weil uns dazu Zeit und Geld fehlten. In meinem ganzen Leben war ich zweimal im Kino. Ich war nie ins Ausland gereist. Ich hatte keinen Reisepass. Weder den Wehrpflichtigen während ihres Dienstes noch den Soldaten und den Geheimdienstmitarbeitern ist es erlaubt, zu reisen.“ Nach Garance Le Caisne, „Codename Caesar. Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie“
Im Januar 2014 erreichen die Bilder erstmals die Öffentlichkeit und syrische Familien erkennen Gesichter ihrer Angehörigen, nach denen sie monate- oder jahrelang gesucht haben, auf den Fotos im Internet. Am 31. Juli 2014 sagt „Caesar“ im US-Kongress aus. Eine Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft bleibt aus. Längst ist die geostrategische Lage vom Kampf gegen den Islamischen Staat bestimmt. „Caesar“ jedoch treibt ein Ziel an: Keine Straflosigkeit für die Täter.
Der einstige Fotograf hat in Nordeuropa Zuflucht gefunden, stets in der Furcht, von den Geheimdiensten aufgespürt zu werden. Er ist überzeugt davon, dass das Regime für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Die internationale Justiz aber schweigt, ist blockiert durch die widerstreitenden diplomatischen Interessenslagen. Im UN-Sicherheitsrat legt der russische Verbündete von Baschar al-Assad wiederholt sein Veto ein gegen Resolutionen, die das syrische Regime verurteilen würden oder die Einschaltung des Internationalen Strafgerichtshofs fordern.
Die einzige Lösung sind die nationalen Gerichtsbarkeiten. Anwälte aus ganz Europa haben zwischenzeitlich auf Basis der Fotos die Arbeit aufgenommen. Im Verlauf der Untersuchungen stößt man auf die „Akte Caesar“. In Madrid hat eine syrisch-spanische Frau den Leichnam ihres Bruders unter den Aufnahmen von „Caesar“ wiedererkannt. Daraus entstand die erste Anzeige, die direkt mit der „Akte Caesar“ in Verbindung steht und auf die viele seit langem gewartet haben.
Auch in Frankreich (Oktober 2016) und in Deutschland (März 2017) wurden Strafanträge gegen die Führung des syrischen Regimes gestellt. Mit ihren Klagen versuchen die Anwälte, das syrische Regime für die dort begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen.
Im September 2017 gaben die syrischen Aktivisten die Original-Festplatte mit den Fotos beim Generalbundesanwalt ab, der seitdem die Aufnahme eines Strafverfahrens gegen namentlich bekannte in Deutschland lebende Angehörige des syrischen Militärgeheimdiensts prüft.
An seinem Fluchtort ist der Mann, der diese juristischen Schritte erst ermöglicht hat, erfreut und besorgt zugleich: „Es ist ein positiver Schritt, aber er kommt so spät … Ich habe Vertrauen in die spanische Justiz, aber wird die internationale Politik das Verfahren nicht verhindern? Was in meinem Land passiert, ist nicht nur eine syrische Angelegenheit, sie betrifft nicht nur Araber oder Muslime. Das ist eine Tragödie für die gesamte Menschheit.“
So konnte „Caesar“ aus Sicherheitsgründen auch an der feierlichen Preisverleihung am 24. September 2017 im Nürnberger Opernhaus nicht teilnehmen. Eine würdige Vertreterin jedoch war die französische Journalistin Garance Le Caisne, denn sie hatte mit ihrem Buch „Codename Caesar – Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie“ die Geschichte hinter den Fotos und damit die unbeschreiblichen Menschenrechtsverletzungen, die in den Gefängnissen des Regimes begangen werden, zu Papier und damit an die internationale Öffentlichkeit gebracht.
„Gebt unser Leid weiter, prangert die Menschenrechtsverletzungen an, die man uns angetan hat.“ Mit diesem Appell wandte sich der Träger des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises 2017 eine Woche nach der Preisverleihung bei einem geheimen Besuch in Nürnberg an die Öffentlichkeit. „Gebt das Leid der Menschen in Syrien weiter. Ihr seid die Augen und die Stimme der Verstorbenen und derjenigen, die in Syrien unter der Repression leben.“ „Caesar hätte nach Nürnberg kommen können, wenn die Internationale Gerichtsbarkeit nicht blockiert wäre“, sagte Le Caisne in ihrer Dankesrede. Sie kritisierte, „dass die Welt gemeinsam schweigt“ und Raketen und Bomben auf die Zivilbevölkerung Syriens und die Folter zulasse. Die Hilflosigkeit der Staatengemeinschaft „gegenüber diesem schrecklichen Krieg ist schreiend“, klagte auch Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly in seiner Begrüßungsrede.
Stephen Rapp, der erfahrene Ankläger in zahlreichen internationalen Strafprozessen, hielt die Laudatio auf den Preisträger und seine Unterstützer. Er zeigte sich zuversichtlich, dass es auf Grundlage von „Caesars“ Beweismitteln und anderen Dokumentationen erfolgreiche Prozesse vor nationalen Gerichten geben werde, die den Opfern und Überlebenden die Hoffnung schenken, dass Gerechtigkeit möglich ist. Und das wiederum, so Rapp, werde diese ermutigen, Beweismittel zu sichern und sich, wie „Caesar“ das getan hat, zu Wort zu melden und mit nationalen Ermittlern und Anklägern zusammenzuarbeiten.
„Caesar“ konnte die große Betroffenheit der rund 800 Gäste im Opernhaus ebenso wenig miterleben wie die überwältigende Solidarität der fast 4.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der sich anschließenden Friedenstafel. Ihm und seinem engsten Vertrauten Sami jedoch war es ein großes Anliegen, Nürnberg zu besuchen. Nicht allein, um sich für die Auszeichnung zu bedanken. Er wollte die Stadt kennenlernen, die für ihn wie keine andere dafür steht, „dass Menschenrechtsverbrechen nicht ungesühnt bleiben dürfen und dass das, was vor 70 Jahren mit dem Internationalen Militärtribunal möglich war, auch heute möglich sein muss“. Und so gehörte der Besuch des Schwurgerichtssaals 600 zum wichtigen Programmpunkt beim geheimen Besuch der beiden Männer wenige Tage nach der Preisverleihung. In einer kleinen Zeremonie im Rathaus überreichte der Oberbürgermeister Preisstatue und Urkunde persönlich und dort vermittelten ihnen die Mitarbeiterinnen des Menschenrechtsbüros mit einer Fotopräsentation auch einen Eindruck des Festakts im Opernhaus und des Bürgerfests am Kornmarkt.
„Caesar“ war kein Aktivist.
Er hat nicht einmal gegen die Machthaber demonstriert. Aber eines Tages hat dieser Mann Nein! gesagt. Nein zu den Verbrechen des Regimes von Baschar al-Assad und der Willkür seiner Nachrichtendienste. Er hat Nein! gesagt, ohne eine Vorstellung davon zuhaben, wohin seine Ablehnung führen würde und welchen langen und unsicheren Weg er vor sich hätte. Bis heute.