P.E.N. Programm „Writers in Exile“

Nürnberg ist offizieller Partner des vom deutschen P.E.N.-Zentrum initiierten Programms "writers in exile", das seit 1999 verfolgten Autorinnen und Autoren Zuflucht in deutschen Städten ermöglicht. Das Projekt entstand als Antwort auf die steigende Zahl an Schriftstellern und Journalisten, die vor Verfolgung und Todesdrohungen fliehen müssen. Ziel der Initiative ist es, ihnen ein freies Leben und Schaffen in Deutschland zu ermöglichen und die Gelegenheit zu bieten, ihr Werk in öffentlichen Lesungen und Diskussionsveranstaltungen dem deutschen Publikum vorzustellen.


Writers in Exile – die Stipendiatinnen und Stipendiaten 2020

Umar Abdul Nasser (irakischer Dichter und Filmemacher), Yassin Al-Haj Saleh (syrischer Schriftsteller und Regimekritiker), Aleksei Bobrovnikov (ukrainischer Autor und investigativer Journalist), Aslı Erdoğan (türkische Schriftstellerin und Journalistin), Yirgalem Fisseha Mebrahtu (eritreische Lyrikerin, Journalistin und Schriftstellerin), Sajjad Jahan Fard (Iran, Forschung zur kurdischen Sprache und Kultur), Tomislav Kezharovski (nordmazedonischer Journalist und Autor), Şehbal Şenyurt Arınlı (türkische Dokumentarfilmerin, Menschenrechtsaktivistin und Journalistin), Fatuma Nurye Yimam (äthiopische Journalistin und Aktivistin)


Gründe für Nürnbergs Engagement

Nürnbergs Geschichte während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bedeutet eine besondere Verantwortung für die Stadt - auch und insbesondere gegenüber Autoren und Intellektuellen. Ganze Kunstrichtungen wurden für "entartet" erklärt, Künstler in die Emigration gezwungen, verhaftet oder umgebracht und ihre Werke vernichtet.
So musste auch Hermann Kesten, der prominenteste Nürnberger Schriftsteller, vor nationalsozialistischer Verfolgung ins Ausland fliehen. Von dort konnte er zahlreichen verfolgten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum helfen. Es ist deshalb posthum als besondere Würdigung der Menschlichkeit Hermann Kestens durch seine Heimatstadt zu verstehen, dass sich Nürnberg bemüht, jenes mutige Engagement des verstorbenen Ehrenbürgers fortzuführen und verfolgten Schriftstellern eine Stätte der Zuflucht zu sein. Möglich ist dies nicht zuletzt dank der großzügigen Unterstützung der wbg gruppe Nürnberg, die den Stipendiaten eine Wohnung zur Verfügung stellt.

Die Journalistin und Filmemacherin Şehbal Şenyurt Arinli

Şehbal Şenyurt Arinli

Die 1962 in Giresun, Türkei geborene Journalistin und Filmemacherin Şehbal Şenyurt Arinli studierte „Journalismus und Kommunikation“ an der Universität Ankara. In der Folge arbeitete sie für große Tageszeitungen wie der Hürriyet und diverse internationale Fernsehsender wie zum Beispiel CNN, BBC, ORF, Reuters und als lokale Berichterstatterin.

Bekanntheit erlangte sie durch ihre Dokumentationen über die Situation der kurdischen Bevölkerung und anderer Minderheiten sowie durch die Aufarbeitung geschichtlicher und gesellschaftlicher Fragen. So wirkte sie auch an dem Dokumentationsfilm Sara mit, der die Tötung des PKK-Mitglieds Sakine Cansiz behandelt. Bei ihren Filmproduktionen erweist sie sich als vielseitig begabte Person, so übernimmt sie nicht nur die Rolle der Produzentin und Regisseurin, sondern auch die der Drehbuchautorin und Kamerafrau. Dies brachte ihr den Titel als „erster weiblicher Kameramann“ ein.
Ihr Engagement beschränkt sich dabei aber nicht nur auf die Herstellung von Dokumentationen. So gründete sie 1996 die „Vereinigung türkischer Dokumentarfilmemacher“, im Jahr 2004 die unabhängige Filmagentur SUFilm. Darüber hinaus engagiert sie sich für Menschenrechte, Frauen und Ökologie. Beispielsweise ist sie Mitglied der ökologischen Kommission des von Kurden getragenen DTK (Kongress für eine demokratische Gesellschaft).

Sie versucht, durch ausführliche Recherchen und Analysen zur kurdischen Freiheitsbewegung einen Beitrag zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts zwischen Türken und Kurden beizutragen. Aus diesem Grund begann sie ihr politisches Engagement in den beiden links bzw. sozialdemokratisch ausgerichteten Parteien HDP und BDP, die sich für kurdische Interessen einsetzen. Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2015 kandidierte sie für die HDP als Abgeordnete.
Im Juli 2017 wurde sie in der Nähe der türkisch-griechischen Grenze von der türkischen Polizei festgenommen und beschuldigt, Mitglied der PKK zu sein. Als Grund wurde ein Ausschnitt aus einer ihrer Reden genannt. Es ist allerdings zu vermuten, dass ihr öffentlichkeitswirksames Engagement, zum Beispiel als Leiterin von Workshops, Rednerin, Filmemacherin, aber insbesondere auch ihre Tätigkeit als Journalistin für die kurdische Zeitung Özgür Gündem, welche 2016 als angebliches Sprachrohr der PKK verboten wurde, die Ursache für die Verhaftung war. Nach ihrer vorzeitigen Entlassung, floh Şehbal Şenyurt Arinli nach Deutschland.

Menschenrechtsverteidiger Liu Dejun

Liu Dejun

Von November 2013 bis Ende 2016 lebte der chinesische Dissident Liu Dejun als PEN-Stipendiat in Nürnberg. Sein Engagement als Menschenrechtsverteidiger begann in der südchinesischen Provinz Guandong, wo er Wanderarbeiter über ihre Arbeitsschutzrechte aufklärte. Später gründete er dort eine nichtstaatliche Organisation, die Rechtsberatung und Schulungen anbot.

Der Aufruf zu politischen Reformen und sein Einsatz für Menschen, deren Privathäuser für staatliche großprojekte abgerissen wurden, brachten ihm mehrmalige Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren ein. 2010 wurde er von der Polizei entführt, misshandelt und in der Umgebung von Peking an einer Straße ausgesetzt. Ai Weiwei drehte dazu einen Dokumentarfilm. In einer Serie von drei Blogs beschrieb Liu Dejun diese Erfahrungen.

Die „disappearances“, die auch auf der Website von Frontline Defenders veröffentlicht wurden, stehen beispielhaft für das willkürliche Verschwindenlassen von Menschenrechtsaktivistinnen und –aktivisten weltweit. Nachdem immer mehr Menschen aus seinem Umfeld verhaftet worden waren, suchte auch Liu nach Wegen, das Land zu verlassen. Mit Unterstützung von Frontline Defenders konnte er von Juli bis Oktober 2013 einen Englisch-Kurs in Dublin absolvieren und fand eine sichere Bleibe in Nürnberg. Heute lebt Liu Dejun in Erlangen.

Frauen-Aktivistin Mansoureh Shojaee

Mansoureh Shojaee

Mansoureh Shojaee gehört zu den führenden Aktivistinnen der Frauenbewegung im Iran und arbeitet als Autorin und Übersetzerin. Sie ist Mitbegründerin des Frauenkulturzentrums (Markaze farhangi-ye zanan) und der Frauenbibliothek (Sadiqe Dolatabadi) in Teheran und eine der Initiatorinnen der Kampagne "Eine Million Unterschriften für die Gleichberechtigung" sowie der Webseite Feminist School.

Bis heute hat sie über 200 Artikel verfasst für diverse Zeitschriften, Zeitungen und Frauenmagazine wie Gense Dowwom (Das zweite Geschlecht) und Fasle zanan (Die Jahreszeit der Frauen) und für Feminist School. Auch als Übersetzerin ist sie bekannt geworden. 22 Jahre war sie als Bibliothekarin bei der Nationalbibliothek Teheran tätig. Seit dem Jahr 2000 hat sie u. a. an der Konzipierung und Realisierung der Wanderbibliotheken für Frauen und Kinder mitgewirkt und zu diesem Zweck erfolgreich mit iranischen und internationalen Organisationen wie zum Beispiel UNICEF zusammengearbeitet.

Seit dem Jahr 2008 hat sie sich auf den Vorschlag Shirin Ebadis hin für die Gründung eines Frauenmuseums im Iran eingesetzt, das noch in der Anfangsphase seiner Realisierung verboten wurde. Am 27. Dezember 2009 wurde sie zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren verhaftet. Nach einem Monat Haft kam sie gegen Zahlung einer hohen Kaution wieder frei und durfte nach Beendigung eines vierjährigen Ausreiseverbots das Land verlassen. Seitdem lebt und arbeitet sie in Deutschland.

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