2012: Dürers Nachbarschaft – Gönner, Paten, Spekulanten
Open-Air-Präsentation vom 30. Juni bis 30. September 2012
Es war der Promi-Hügel der deutschen Boomtown in der Renaissance: In der Burgstraße in Nürnbergs Sebalder Altstadt, dort, wo der junge Albrecht Dürer zu Füßen der Kaiserburg aufwuchs, herrschte Kreativ-Atmosphäre. Geldgeber, Erfinder und Handwerkskünstler lebten und arbeiteten dicht an dicht und bescherten Albrecht Dürer die nötigen beruflichen und privaten Netzwerke. "Networking" ist eben keine Erfindung des 21. Jahrhunderts.
Gelegenheit schafft Karriere – lautet gleichlautend das Resultat des Germanischen Nationalmuseums, das diese Erkenntnis in seine große Schau über den jungen Dürer einspeiste. In Ergänzung dazu zeigte das Kulturreferat von Juli bis September 2012 dazu an den Original-Schauplätzen "Dürers Nachbarschaft". Die Burgstraße ist der "Kiez" des Universalkünstlers, hier knüpfte er seine Kontakte, hier fand er Abnehmer und Ideengeber. Die Familie Frey etwa, deren Tochter Agnes Dürer später heiraten wird, Spekulanten wie der erst schwer reiche und dann verarmte Christoph Scheurl, oder Erfinder wie den Buchdrucker Anton Koberger, eine Art Steve Jobs der Renaissance, der auch Dürers Pate war.
Die Open-Air-Präsentation mit sieben erzählenden Skulpturen-Stationen war als "Stadtgeflüster" gedacht. Es gab Begegnungen in der Burgstraße: mit einem Spekulanten, einem Medienmogul, einer Lichtgestalt, dem Kumpel, einem Kunstfreund und der Managerin-Ehefrau. Prototypen, die damals wie heute Schlüsselrollen spielen. Überlebensgroße Dürer-Silhouetten wiesen den Weg zu Hörstationen.
An den ehemaligen Wohnstätten von Dürers Nachbarn informierten die Figurengruppen über die jeweiligen Beziehungen zu Albrecht Dürer. Direkt vor Ort oder im Nachbarschafts-Wiki online konnten Besucher*innen die Hintergründe und Zusammenhänge nachlesen. An den dazu gehörigen Hörstationen erzählte Albrecht Dürer (eingesprochen vom Nürnberger Regisseur, Figurentheatermacher und Kulturpreisträger Tristan Vogt) Symptomatisches über seine Nachbarn.
Mechanisches Theater
Neben der Open-Air-Präsentation gab ein mechanisches Theater darüber hinaus als zentrale Einheit humorvoll Einblick in dieses allzu menschliche Beziehungsgeflecht. Der Dresdner Regisseur Heiki Ikkola schuf dafür ein pointiertes Schau-Bild vom Burgstraßenleben.
Regie Heiki Ikkola
Heiki Ikkola arbeitet als Regisseur, Darsteller und Festivalmacher derzeit von Dresden aus. Mit Kollegen in Berlin, Köln, Tunesien, Australien und Dänemark arbeitet er an Theaterprojekten, die meist um das Thema "Fremdsein" kreisen, jenseits von Mainstream und Fastfood-Theater, die sich einerseits an ein Publikum richten, das sich an Geschichten begeistern kann, das aus Bildern und Collagen wächst, und andererseits an experimentierfreudige Zuschauer jeden Alters wendet. Gleichzeitig ist er mit einer "Freak-Show" unterwegs und lässt zusammen mit Sabine Köhler die Welt des mechanischen Theaters, des theatrum mundi, wieder aufleben, das seine erste Blüte im 18. Jahrhundert besonders im sächsischen Raum hatte.
Die Nachbarn
In Zusammenarbeit mit dem Germanischen Museum wurden sieben Nachbarn stellvertretend für vielen Bewohner des Burgviertels ausgewählt. Wichtig für die Auswahl waren belegbare Quellen, die das Verhältnis zwischen Albrecht Dürer und dem jeweiligen Nachbarn beschreiben.
Albrecht Dürer der Ältere
Aus einem kleinen Dorf in der ungarischen Puszta verschlug es den Goldschmied Albrecht Dürer den Älteren 1455 ins ferne Nürnberg. Wie so viele Tagelöhner, Handwerker und Kaufleute suchte er in der damals zweitgrößten Metropole des Heiligen Römischen Reichs sein Glück – und fand es: Nach der Hochzeit mit der schönen Barbara, der Tochter seines Meisters Hieronymus Holper, kam er 1475 an ein ansehnliches Haus in der Nürnberger Burgstraße.
Der Neu-Nürnberger
Dort baute er sich eine Werkstatt und ein Zuhause für seine große Familie auf. Und das mit großem Erfolg: Nicht nur seine Handwerksgenossen, auch die städtische Obrigkeit betrauten ihn mit verantwortungsvollen Ehrenämtern. Reiche Patrizier, die Pfarrei St. Sebald, ja sogar der deutsche Kaiser zählten zu seinen Auftraggebern. In nur wenigen Jahren war aus dem Einwanderer von einst ein geachteter Nürnberger Bürger geworden!
Burgstraße 27
Die Tradition seines angesehenen Handwerks, die Werkstatt und das Haus, all das sollte einst sein Sohn Albrecht übernehmen. Doch der rang ihm die Erlaubnis ab, Maler werden zu dürfen. Allerdings vergaß er nie, was er dem Vater zu verdanken hatte. Untröstlich stand der junge Albrecht 1502 am Sterbebett des alten Dürer, "den ich" – so berichtete er tiefbetrübt – "tot mit großen Schmerzen ansah, da ich nicht würdig gewesen bin, bei seinem Ende dabei zu sein."
Agnes Frey
"Mein agnes" schrieb Albrecht Dürer unter das intime Bildnis, das er im Jahre seiner Hochzeit 1494 von seiner Frischangetrauten schuf. Noch viele Male sollte sie ihm Modell stehen. Mit Agnes Frey hatte Albrechts Vater für seinen Sohn eine exzellente Partie angebahnt: Denn die rund fünf Jahre jüngere Agnes war nicht nur die Tochter eines angesehenen und wohlhabenden Messingschmieds, sondern zudem durch ihre Mutter Anna mit dem Nürnberger Patriziat, den führenden Familien der Reichsstadt, verwandt.
Die Ehefrau
War die Hochzeit, wie seinerzeit üblich, auch von den Eltern arrangiert, so heiratete der junge Maler doch keine Unbekannte: Immerhin waren Albrecht und seine Agnes kaum einen Steinwurf voneinander entfernt aufgewachsen und kannten sich gewiss von Kindesbeinen an. In Agnes fand der aufstrebende Künstler nicht nur eine Ehepartnerin, sondern auch eine geschäftstüchtige „Managerin“, die mit Auftraggebern verhandelte, die Gesellen in der Werkstatt beaufsichtigte und auf dem Markt Druckgrafiken feilbot.
Obere Krämersgasse 10
1520/1521 reisten beide gemeinsam in die Niederlande. Dass Agnes eine "schwarze Witwe" gewesen sei, die ihrem gutmütigen Gatten das "Herz angenagt und dermaßen gepeinigt hat, dass er sich umso schneller von hinnen gemacht hat", ist indessen wohl nichts weiter als die böswillige Unterstellung des alternden, durch den Tod seiner Tochter und seines Freundes Albrecht tief verbitterten Willibald Pirckheimer.
Anton Koberger
Fleiß, Risikobereitschaft und nicht zuletzt ein ausgezeichneter unternehmerischer Spürsinn – das waren die Eigenschaften, denen Anton Koberger seinen kometenhaften Aufstieg verdankte.
Der Pate
Der Sohn eines Bäckers vertauschte die Backform mit der Bleiletter und arbeitete sich so zu einem der erfolgreichsten Verleger und Buchhändler seiner Zeit empor. Auch wenn sein bedeutendstes Druckwerk, die Schedelsche Weltchronik, ein Ladenhüter blieb, ist er weit mehr noch als die durchaus nicht wenigen Start-Up-Unternehmer des spätmittelalterlichen Nürnberg der Inbegriff des ökonomischen und sozialen Aufsteigers.
Burgstraße 3
1471 hob Koberger den kleinen Dürer in St. Sebald aus der Taufe. Und auch später sollte der wohlwollende Pate einen großen Einfluss auf Albrecht ausüben. Wahrscheinlich war nicht zuletzt er es, der dem jungen Künstler den Wert unternehmerischer Kompetenz und die lukrative Vermarktung von Druckerzeugnissen nahebrachte, die einst die Basis für dessen Wohlstand und europaweite Bekanntheit bilden sollten.
Willibald Pirckheimer
Willibald Pirckheimer, im wahrsten Wortsinn ein Schwergewicht des Kulturlebens in Nürnberg um 1500, nannte Albrecht Dürer "der pesten freund eynen, so ich auf erdreych gehabt hab". Obwohl Dürer seine ersten Lebensjahre im Hinterhaus der Pirckheimer verbrachte, lernten sich die beiden fast Gleichaltrigen wahrscheinlich erst um 1495 kennen, als Willibald, dessen Vater als fürstlicher Berater häufig umziehen musste, sich dauerhaft an der Pegnitz niederließ.
Der "Spezl"
Die enge und ungleiche Freundschaft zwischen dem auch politisch einflussreichen Patrizier und Diplomaten Pirckheimer und dem einfachen Handwerker Dürer schlug sich in mehreren gemeinsamen Projekten und zahlreichen, teils äußerst zotigen Briefen nieder. Sie war aber nicht nur das Produkt gegenseitiger Sympathie.
Hauptmarkt 19
Beide verbanden mit ihrer Bekanntschaft auch persönliche Interessen: Für Dürer bedeutete sie eine Chance für sozialen Aufstieg und wertvolle Kontakte in die kunstsinnige und solvente Nürnberger Oberschicht. Im Gegenzug konnte sich Pirckheimer als großzügiger intellektueller Patron im Ruhm seines Künstlerfreundes sonnen.
Christoph I. Scheurl
Als Kaufmann und Spekulant erwarb Scheurl großes Vermögen und Ansehen. Selbst König Maximilian war in seinem Haus zu Gast.
Der Spekulant
Doch Schuldner und Betrüger ruinierten sein Unternehmen. Seine zornigen Forderungen nach Auslieferung der Delinquenten brachten ihn gar in Konflikt mit dem Rat, der Scheurl foltern ließ, bis er sein Begehren aufgab.
Burgstraße 10
Der Vorfall dürfte die Einstellung des jungen Dürer zu finanziellem Erfolg und dessen Fragilität stark beeinflusst haben. Immerhin zählten Scheurls Söhne zu Dürers Freundeskreis.
Sebald Schreyer
Was wäre die Kunst ohne Mäzene? Ursprünglich Pelzhändler, finanzierte Sebald Schreyer seinen extravaganten Lebensstil aus lukrativen Bergwerksbeteiligungen und den Einnahmen aus zahlreichen Nürnberger Mietshäusern. Während sein Kapital für ihn arbeitete, konnte er sich seinen Leidenschaften, dem Literaturgenuss und der Kunstförderung widmen. Größen des Humanismus wie Hieronymus Münzer, Peter Danhauser und den Dichterfürsten Konrad Celtis empfing er in der "Vorderstube" seines Anwesens. In gediegener Atmosphäre philosophierte man dort, umgeben von Büchern und allegorischen Wandmalereien, auf bequemen "faul- und lotterbettlein" über Gott und die Welt.
Der Kunstfreund
Als Pfleger der Sebalduskirche gehörte Schreyer zu den Stammkunden von Dürers Vater, der für ihn beschädigtes liturgisches Gerät reparierte oder neu anfertigte. Nicht nur kostspielige Stiftungen wie das Schreyer-Landauer-Epitaph und das Sebaldusgrab, sondern auch ehrgeizige Buchprojekten wie die "Schedelsche Weltchronik" und die von seinem Freund Celtis verfasste "Norimberga" gehen auf seine Initiative zurück. Durch sie versuchte der einflussreiche Kaufmann die die kulturelle und politische Spitzenstellung Nürnbergs im Heiligen Römischen Reich zu untermauern.
Burgstraße 9
Auch den jungen Dürer nahm Schreyer für sein "Nürnberg-Marketing" in Beschlag, als er den ihn 1501 eine Neuauflage der "Ode an den Stadtpatron St. Sebald" entwerfen ließ. Diese sollte, als Holzschnitt tausendfach vervielfältigt, den Namen des Heiligen und seiner Stadt in die Welt hinaustragen.
Michael Wolgemut
Wolgemut war Dürers Lehrmeister und zugleich ein alter Bekannter.
Der Lehrmeister
Schon vor Antritt seiner Lehre 1486 hatte der kleine Albrecht in Wolgemuts Haus die "Dame mit dem Falken" gezeichnet. Neben kirchlicher Malerei und Portraits reicher Kunden entstanden in seiner Werkstatt die Illustrationen der "Schedelschen Weltchronik", die sein Nachbar Sebald Schreyer bei ihm in Auftrag gegeben hatte.
Burgstraße 21
Von Wolgemut lernte der junge Dürer nicht nur zu malen, sondern auch, wie man seine Kunst optimal vermarktet.